Nach Betrachten des Nachschlags zu Das Schweigen der Lämmer sowie „Hannibal“ muss die Frage gestattet sein, ob dieses Remake wirklich notwendig war.
Das Schweigen der Lämmer brachte nicht nur massig Geld in die Kino- und Produzentenkassen, sondern begeisterte auch die Filmkritik und schaffte das Kunststück, als Thriller zu (absolut verdienten) Oscarehren zu gelangen.
Acht Jahre später verstummte das Lämmer-Schweigen und wich dem Hohngelächter der Kritiker, als Ridley Scotts „Hannibal“ in globaler Einmut abgewatscht wurde. Finanziell war der Film jedoch noch erfolgreicher als sein Vorgänger. Klar, dass jede noch so abstruse Chance zur Fortsetzung genutzt wird.
Kurios ist an diesem dritten Teil der Hannibal Lecter-Saga nicht, dass der Film ein Prequel, also chronologisch vor den ersten Teilen angesiedelt ist. Vielmehr handelt es sich um ein Remake des Vorgängers zu „Das Schweigen der Lämmer„. Meines Wissens nach ein beispielloses Kuriosum. Wobei ich zugeben muss, dass es nicht unlogisch erschien.
Michael Manns cineastische Adaption des Thomas-Harris-Thrillers Roter Drache war seinerzeit ein finanzielles Fiasko und dürfte den meisten höchstens aus dem Fernsehen unter dem Namen „Blutmond“ bekannt sein.
Verständlich ist der Flop meiner Meinung nach nicht – der Film war und ist ein Meilenstein des Thriller-Genres, garniert mit düsterer Grundstimmung und einer unter die Haut gehenden Filmmusik.
Erst dank des Kultes um die Figur des Hannibal Lecter konnte ein solches Remake auch nur ins Auge gefasst werden. Die größte Schwäche des Filmes ist, dass er abgesehen von der Einstiegsszene, wo erklärt wird, wie Lecter gefasst wurde, und dem unnötig in die Länge gezogenen Schluss dem Original quasi 1:1 entlehnt wurde.
Jenen, denen das Original nicht geläufig ist, wird der Film gewiss gut gefallen und einige Überraschungen bieten.
Der Plot: FBI-Agent Will Graham (Edward Norton) soll auf Bitte des FBI-Chefs Crawford (ungewohnt blass: Harvey Keitel) einen völlig irren Serienkiller schnappen. Dieser ist unter dem Namen „Die Zahnfee“ (im Buch übrigens als „Zahnschwuchtel“ tituliert – o schöne, neue political correctness) bekannt und mordet mit unfassbarer Grausamkeit bei Vollmondnächten.
Nur einer kann Graham helfen: Hannibal Lecter, der von Graham eher zufällig gefasst wurde und sich seine Hilfe mit allerlei Gefälligkeiten erkaufen lässt. Die Zeit rinnt unerbittlich – bald ist wieder Vollmond und die „Zahnfee“ wird wieder zuschlagen, wenn sie nicht gefasst wird…
Man sollte ja immer mit dem Positiven beginnen und ich will mich dieser Tradition nicht verschließen. In der Wahl der Protagonisten bewies das Produzententeam ein goldenes Händchen: Natürlich ist Sir Anthony Hopkins als Hannibal Lecter mit von der Partie. Es ist anzunehmen, dass nur seine Zusage den Film überhaupt möglich machte.
Zwar ist er nicht von derart zwingender (atmosphärischer) Präsenz wie in Das Schweigen der Lämmer, aber es ist immer ein Hochgenuss, ihn in der Interpretation seiner Rollen zu erleben (was sich nicht auf Lecter allein beschränkt).
Eigentlicher Star des Filmes ist jener Mann, der den Psychopathen Francis Dolarhyde verkörpert: Ralph Fiennes, vielen bislang wohl am ehesten aus Schindlers Liste bekannt, wo er (ebenfalls glänzend) den sadistischen KZ-Lagerwärter Amon Goeth verkörperte.
Die Rolle des in seiner Kindheit gequälten Dolarhyde, der auf Grund eines körperlichen Makels von Selbstzweifeln förmlich bis zum Wahnsinn zerrissen wird und sich in einer Welt Zuflucht sucht, in der er William Blakes Gemälde Roter Drache verfällt und sich als Inkarnation der Bestie sieht, ist ihm wie auf den Leib geschneidert. Seine Darbietung ist einfach gewaltig, und das, obwohl er nur wenige Textzeilen hat, die etwa zur Hälfte aus „Ja“ und „Nein“ bestehen
Emily Watson als blindes Objekt der Begierde Reba McClane steht ihm dabei kaum nach. Gemeinsam mit Fiennes bildet sie den eigentlichen Mittelpunkt der Geschichte, einen dualistischen Pol, um dessen Achse aus Liebe, Gewalt und Wahn sich die Story geschickt dreht.
Umso auffälliger ist die Schwäche des Duos Lecter/Graham, sprich Hopkins/Norton. An ihnen läuft die Geschichte phasenweise vorbei. Schuld daran trägt gewiss nicht Hopkins, der den Lecter gewohnt ironisch verkörpert. Eher bezweifle ich, ob Edward Norton die richtige Wahl des FBI-Agenten Graham war.
Ich halte Norton wie viele Kritiker für einen der besten Nachwuchsschauspieler Hollywoods. Als starker Widerpart Dolarhydes, geschweige denn Lecters, kann er sich jedoch nicht etablieren. Bei allem Bemühen, sich in die Rolle einzufinden, bleibt er seltsamerweise außen vor, fügt sich in das übrige Ensemble nicht ein und bleibt ein Fremdkörper.
Die ersten Filmminuten sind auch die besten des gesamten Films: Lecter fühlt sich durch das falsche Spiel eines Flötisten bei einem Konzert in seinem Perfektionswahn „beleidigt“. Folgerichtig wird dieser einer feinen Gesellschaft vom damals noch honorigen Dr. Lecter zum Essen serviert. Als ihn eine Dame entzückt fragt, woraus das Gericht denn bestehe antwortet Lecter: „Wenn Sie das wüssten, würden Sie es nicht essen.“
Gelächter unter den Tischgästen…
Genau das ist es wohl, was viele – so auch mich – an der eigentlich abstoßenden Person Hannibal Lecter fasziniert: Sein schwarzer Humor, sein Bestreben, sich den feinsten Genüssen hinzugeben, ohne auf Moral oder Ethik Rücksicht zu nehmen. Lecter tut, was er will – und wünschen wir uns das nicht alle?
Was mich am Film störte habe ich eingangs bereits erwähnt: Das stellenweise exakte Kopieren der Vorlage kommt mir doch allzu billig vor. Ein bisschen Originalität wie beim Filmanfang hätte man schon verlangen dürfen.
Extrem ärgerlich und als Verhöhnung des Zuschauers muss gelten, dass jene drei Personen, die man aus den beiden Vorgängerfilmen bereits kennt, nämlich Lecter, Dr. Chilton sowie Barney, den Gefängniswärter, auch im Film deutlich gealtert sind.
Nun ist das Altern ein Prozess, den man dummerweise nicht aufhalten kann – aber maskentechnisch dürfte es heutzutage doch kein Problem darstellen, für die Dauer einiger Filmminuten eine Person um 20 Jahre zu verjüngern. Wenn man sich den Film jedoch ansieht und weiß, dass besagte drei Personen rund ein Jahrzehnt jünger sein müssten als in Das Schweigen der Lämmer, dann muss man sich an den Kopf fassen bei solcher Schlampigkeit.
Gegenüber dem Original fällt auch die Filmmusik deutlich ab. Manchmal könnte ich mich der Vermutung hingeben, dass seit zehn Jahren bei fast jedem Film exakt dieselbe orchestrale Hintergrundmusik verwendet wird. Langweilig und ohne Esprit.
Alles in allem bietet das Remake für den Original-Kundigen kaum etwas Neues. Ist man, wie der Schreiber dieser Zeilen, ohnedies nur an der Figur des Hannibal Lecter interessiert, kann man darüber hinweg sehen.
Trotzdem bleibt ein fahler Nachgeschmack des routinierten Hollywood-Eintopfs.
Darsteller
- Edward Norton
- Anthony Hopkins
- Harvey Keitel
Regie
Brett Ratner
Produktionsland, Jahr
USA, 2002
Roter Drachen (engl. Red Dragon) Trailer