Mord im Orient-Express Kritik

Mord im Orient-Express Kritik

Der legendäre Detektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) entscheidet sich, seine Reise von Istanbul nach London mit dem luxuriösen Orient-Express anzutreten. Eigentlich hofft Poirot auf eine stressfreie, entspannte Reise mit dem Zug, doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei. Denn kurz nachdem der Zug in den verschneiten jugoslawischen Bergen von einer Lawine zum Stehen gebracht wurde, wird ein Passagier ermordet. Es handelt sich um den ebenso schmierigen wie undurchsichtigen Kunsthändler Edward Ratchett (Johnny Depp). Damit ist klar: der Mörder kann nur einer der anderen Reisenden sein. Das Problem: alle 13 Passagiere hätten ein Motiv gehabt, Ratchett zu ermorden. Darunter: ein österreichischer Professor (Willem Dafoe), eine attraktive Gouvernante (Daisy Ridley), ein Autohändler (Manuel Garcia-Rulfo), eine geheimnisvolle Witwe (Michelle Pfeiffer) sowie eine psychisch labile Missionarin (Penélope Cruz).

„Mord im Orient-Express“ gehört zu den bekanntesten Werken der britischen Krimi-Autorin Agatha Christie. Ihr 14. Roman wurde 1934 veröffentlicht und bereits fünfmal verfilmt. Die bis heute populärste filmische Adaption entstand 1974 unter der Regie von Sidney Lumet. Der Regisseur und Hauptdarsteller der Neuverfilmung, Kenneth Branagh, realisierte mit seiner Version ein lange gehegtes Herzensprojekt. Branagh wurde in den 80er- und 90er-Jahren vor allem durch seine Shakespeare-Verfilmungen bekannt („Heinrich V.“, „Viel Lärm um nichts“), später inszenierte er vermehrt kostspielige Popcorn-Blockbuster wie „Thor“ oder „Jack Ryan: Shadow Recruit“. Kostspielig waren auch Produktion und Entstehung von „Mord im Orient-Express“: das Budget betrug rund 55 Millionen Dollar.


Als exquisites, edles Ausstattungskino mit erlesenen Panoramaaufnahmen der schneebedeckten Berghänge sowie optisch beeindruckenden Schauplätzen (gedreht wurde u.a. im italienisch-französischen Aostatal), überzeugt der Film auf ganzer Linie. In Sachen Kleidung, Requisiten und sonstiger Ausstattungsdetails, huldigt Branagh den dekadenten 20er-Jahren, was sich u.a. in den prachtvollen, reich verzierten Roben einiger Reisender widerspiegelt. Zudem frönt Branagh hier mehr denn je seinem Hang zu regelrecht berauschenden Kamerafahrten, die betörend schöne, gestochen scharfe Bilder liefern: etwa von den Stadtpanoramen Jerusalems und Istanbuls oder dem Inneren des luxuriösen Orient-Express.

Bei all dieser optischen Pracht wird schnell klar, in welche Bereiche ein Großteil des Budgets geflossen sein muss. Zumal Branagh bei aller Detailverliebtheit und Authentizität auch auf CGI setzt. Und das nicht zu knapp. Hier und da fällt einem die Künstlichkeit einiger Kulissen sehr stark auf. So wurden etwa einige der Gebirgsketten per Computer erweitert, was nicht weiter schlimm wäre, wenn dies nicht überdeutlich ins Auge stechen würde. Aber: insgesamt halten sich diese CGI-Fehler bzw. -Schlampereien in Grenzen und die Hochglanz-Optik ist und bleibt das große Plus des Films.

Das größte Problem: Kinobesucher, die entweder die literarische Vorlage oder eine der vielen bisherigen Verfilmungen kennen, werden Sinn und Zweck dieser neuerlichen filmischen Bearbeitung in Frage stellen. Denn Branagh hat sich nicht die Mühe gemacht, erwähnenswerte inhaltliche oder dramaturgische Änderungen in sein Werk einzubauen – abgesehen von einigen Herkunftsländern seiner Figuren. Einerseits ist es zwar löblich, dass sich der Hauptdarsteller und Regisseur so dicht an Christies Original-Erzählung hält. Andererseits aber fehlt eben das Überraschungsmoment, das den Kinobesuch für all jene rechtfertigt, die bereits mit der Handlung – und vor allem: der Auflösung des Falls – vertraut sind. Und das sind nicht wenige.

Schade ist weiterhin, dass Branagh seinen mit voluminösem Schnauzbart ausgestatteten Ermittler so bierernst anlegt. Zeichnete sich der Meisterdetektiv in früheren Filmen noch durch Ironie, Chuzpe und Schlagfertigkeit aus, verkommt die Spürnase bei Branagh zu einem alles in allem doch recht humorlosen Zeitgenossen, ausgestattet mit einem peniblen Hang zu Ausgeglichenheit und Genauigkeit (Stichwort: Frühstückseier). Der Humor-Anteil war in Produktionen, die Albert Finney oder Peter Ustinov in der Rolle der Spürnase zeigten, demzufolge auch wesentlich höher.

Zwar haben all jene, die mit dem Plot nicht vertraut sind, wie erwähnt einen klaren Vorteil gegenüber den Zuschauern, die des Rätsels Lösung bereits kennen. Dennoch: wie Poirot am Ende eine intelligente Schlussfolgerung nach der anderen zieht und im Schnellverfahren schließlich auf die Lösung kommt, ist leider reichlich unrealistisch und wenig glaubhaft. Da kann Poirot noch so ausgefuchst und mit – wie es öfter im Film zur Sprache kommt – vielen „kleinen grauen Zellen“ ausgestattet sein: die Hals-über-Kopf-Auflösung passt nicht zur langsamen, ruhigen Inszenierung und dem vorherigen gemächlichen Erzähltempo.

Fazit: Kenneth Branagh hält sich penibel an die literarische Vorlage und verzichtet in seiner mit namhaftem Cast bestückten Neuverfilmung auf dramaturgische Neuerungen und inhaltliche Überraschungen. Daher ist „Mord im Orient-Express“ nur für Zuschauer empfehlenswert, die mit der Story nicht vertraut sind. Sehenswert machen den Film in erster Linie die beeindruckenden Panoramaaufnahmen sowie die erlesene, prächtige Ausstattung.


Bewertung 5/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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