„Katerstimmung“ – so die halbwegs adäquate Übersetzung des Originaltitels – kommt für die Produzenten von „The Hangover“ garantiert nicht auf: Die nach Hollywood-Maßstäben kostengünstig produzierte Krawall-Komödie avancierte in den USA zum Sensationshit und Kultfilm. Dabei gibt der Plot auf den ersten Blick nicht viel her: Vier Typen schmeißen die obligatorische Junggesellenabschiedsparty in Las Vegas und hangeln sich von einer Peinlichkeit zur nächsten Katastrophe und zurück.
Ob dem Zuschauer der Kater nach dem Konsum dieses Films erspart bleibt oder man sich vor dem Kinobesuch doch besser mit Kopfschmerztabletten eindecken sollte, wird nachfolgend enthüllt.
Viva Las Vegas!
Doug (Justin Bartha) möchte seinen Abschied vom Junggesellendasein so standesgemäß wie die Hochzeit selbst feiern. Und was läge da näher als Las Vegas, die Stadt der Sünden und Ausschweifungen? Kurzerhand lädt er seine besten Freunde, den unorthodoxen Lehrer Phil (Bradley Cooper), sowie den biederen Zahnarzt Stu (Ed Helms) ein, ihm besagten Abschied zu versüßen. Auch der Bruder seiner künftigen Ehefrau Tracy (Sasha Barrese) schließt sich ihnen an, wobei Alan (Zach Galifianakis) nicht gerade besonders helle ist und einen Hang zu Perversionen hegt.
Im edlen Mercedes von Dougs Schwiegervater in spe rast das Quartett in die Wüstenstadt. Doch anstatt sich mit zwei billigen Doppelzimmern zufrieden zu geben, buchen sie die Luxussuite – und ab da geht der Ärger so richtig los. Denn nachdem sie auf dem Dach des Gebäudes eine Flasche Jägermeister gekippt haben, folgt das böse Erwachen Stunden später: Alan, Phil und Stu haben nicht nur einen ordentlichen Kater, sondern auch einen veritablen Filmriss. Was in den Stunden zuvor geschehen ist, wissen sie nicht mehr. Fatalerweise, denn ausgerechnet Bräutigam Doug ist plötzlich spurlos verschwunden, im Badezimmer residiert ein Tiger, Hühner laufen durch das sündteure Penthouse und statt des Mercedes fährt der Hotelpage den „Officers“ einen geklauten Polizeiwagen vor …
Nichts für Kinder – und trotzdem gigantisch erfolgreich
Jedes Jahr gibt es in den Kinos zumindest einen Sensationshit, den niemand auf der Rechnung hatte. 2009 dürfte das Jahr von „The Hangover“ sein. Die mit dem gefürchteten „R-Rating“ versehene Komödie ließ in den USA unter anderem den vierten Teil von „Terminator“, den dritten Teil von „Ice Age“, Teil 2 von „Night At The Museum“ sowie X-Men Origins: Wolverine“ (bei dem wohl kaum noch jemand rekonstruieren kann, den wievielten Teil er von welcher Filmreihe, wenn überhaupt, darstellt) hinter sich.
Mehr noch: „The Hangover“ ist sogar die erfolgreichste „R-Rating“-Komödie überhaupt! Verblüffend angesichts des Umstandes, dass zumindest in den US-Kinos der Filmbesuch erst ab 17 Jahren erlaubt ist. Bekanntlich wird ja nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und diese Binsenweisheit lässt sich auch auf Todd Phillips’ neuen Streifen übertragen: Ja, es geht mitunter derb zu und in einer Szene verdrischt ein nackter Chinese die Protagonisten. Andererseits ist die verwendete Sprache überraschend zahm: Vulgäre Ausdrücke und Schimpfkanonaden, wie man sie aus ähnlichen Genrebeiträgen mittlerweile gewöhnt ist, sind nur sporadisch zu finden.
Trotzdem handelt es sich natürlich um keine harmlose Disney-Komödie: Die zahlreichen politisch unkorrekten Anspielungen, die mehr als einmal die Schamhaargrenze unterschreiten, haben es zum Teil in sich. Besonders eine ganz bestimmte Szene wird wohl für Diskussionen sorgen, ob man so etwas in einem Film auch nur andeuten dürfe.
Road Trip to Las Vegas!
Wem der Name Todd Phillips bekannt vorkommt, dürfte richtig liegen: Der gebürtige New Yorker zeichnete unter anderem für Streifen wie „Old School“, „Starsky und Hutch“ oder den aberwitzigen „Road Trip“ verantwortlich. Vor allem „Road Trip“ kann durchaus als Übung für „The Hangover“ gedeutet werden: Mehrere stereotype Charaktere planen eine Reise, die letztendlich ganz anders verläuft als erhofft, und an deren Ziel der Weg zum Herzen der Liebsten darstellt.
Wer über die Gags in „Road Trip“ herzhaft lachen konnte, wird in Phillips’ neuestem Werk reell bedient: Von Anfang an pflastern Dialogwitze, optische Gags oder Kalauer den Weg nach Las Vegas. Ob man sich darüber amüsiert, ist natürlich Geschmackssache. Harmloser Humor ist in „The Hangover“ nicht gefragt: Hier wird das Zwerchfell nicht mit Samthandschuhen, sondern dem Holzhammer massiert.
Dennoch weiß der Film zu überraschen. So altbacken die eigentliche Story auch daherkommen mag, so geschickt variiert Phillips das Thema. Alle handelsüblichen Zutaten wie Verwechslungen, dämliche Gangster oder Schnellhochzeiten sind serienmäßig integriert – und trotzdem bietet er dem Zuschauer eine durchaus raffinierte Story. Denn anstatt den Plot chronologisch zu erzählen, dreht Phillips den Spieß ganz einfach um: Der Betrachter wird mit dem Endergebnis der rauschenden Party konfrontiert und guckt dem zum Trio geschmolzenen, einstigen Quartett amüsiert dabei zu, wie es die Geschehnisse zu rekonstruieren versucht, um den verschwundenen Kumpel wiederzufinden.
Memento meets „Verrückt nach Mary“
Dieses Konzept ist vielleicht das Erfolgsgeheimnis des Filmes, da es einen bleibenden Eindruck hinterlässt. Bei vielen Komödien erinnert man sich schon nach einer Stunde nicht mehr an den Plot. Anders hier: „The Hangover“ erweist Christopher Nolans Geniestreich „Memento“ Referenz, indem die Schnitzeljagd zum Ausgangspunkt der Party, und somit dem Rätsel um Justins Aufenthaltsort, zum prägenden Motiv des Filmes wird.
Tatsächlich ergibt die Geschichte retrospektiv betrachtet Sinn und unterscheidet sich alleine darin vom Einheitsbrei, der uns in den letzten Jahren serviert wurde. Zum Drüberstreuen parodiert der Streifen auch noch „Rain Man“, was eine der gelungensten Szenen des Filmes zur Folge hat.
Schauspielerische Glanzpunkte muss in einer solchen Brachialkomödie niemand setzen, zumal die Figuren größtenteils ohnehin nur schmückendes Beiwerk oder, gleich den Hauptdarstellern, völlig überdrehte Stichwortgeber sind. Der bekannteste Name dürfte Heather Graham sein, die in einem der „Austin Powers“-Filme das obligatorische Love Interest gab. Ihre Rolle als Stripperin erfordert jedoch nur wenig, nun ja, körperlichen Einsatz, und alles in allem dient sie nur als weiblicher Aufputz.
Eine echte Entdeckung hingegen ist der koreanischstämmige Ken Jeong als wunderbar durchgeknallter Gangsterboss Chow. Der studierte Mediziner gewinnt seiner an sich albernen Rolle eine erstaunliche Ernsthaftigkeit ab – gerne würde man ihn bei längeren Filmauftritten bewundern dürfen!
Besonders lobend hervorheben muss man die stimmige Länge des Filmes: Auf den rund 100 Minuten kommen keinerlei Fehlläufe auf, was man mittlerweile leider als Rarität bezeichnen muss. Phillips weiß, wann er seinen Film beenden muss und setzt dies konsequent in die Tat um. Übrigens anhand eines Plot-Gags, der nicht verraten wird.
Fazit: „The Hangover“ ist eine der besseren Komödien der letzten Jahre, die von einem intelligenten Drehbuch und dem Mangel ernsthafter Konkurrenz profitiert.
Darsteller
- Bradley Cooper … Phil Wenneck
- Ed Helms … Stu Price
- Zach Galifianakis … Alan Garner
- Justin Bartha … Doug Billings
- Heather Graham … Jade
- Rachael Harris … Melissa
- Ken Jeong … Mr. Chow
- Sasha Barrese … Tracy Garner
Regie
Todd Phillips
Produktionsland, Jahr
USA, 2009
Hangover Trailer
Eine sehr schöne, kenntnisreiche und informative Filmkritik – vielen Dank!
PS bei Heavenly Creatures kommt kein Inhalt, schade, die Kritik hätte ich gerne gelesen – das war nämlich einer von 2 Filmen in meinem Leben, bei denen ich das Kino vorzeitig verlassen habe… 😉
Hallo,
vielen Dank für den Hinweis bzgl. der Heavenly Creatures-Kritik. Verstehe das auch nicht, warum da kein Inhalt kam. Habe die Kritik soeben noch einmal neu veröffentlicht, nun sollte man auch die Kritik sehen können 😉
Gruß und viel Spaß beim Lesen!