
Die Dokufilmer Florian Weigensamer und Christian Krönes widmen sich in ihrem Film dem Leben von Menschen, die in der Wertschöpfungskette ganz unten stehen. Und unter Gefährdung ihrer Gesundheit an einem schrecklichen Ort von dem leben müssen, was in Europa entsorgt und nicht mehr für gut befunden wird. Dieser unwirkliche Ort ist die Elektroschrott-Müllhalde von Agbogbloshie in Ghana. Jährlich 250 000 Tonnen Müll landen dort, vor allem defekte Haushaltsgeräte aber auch massenweise technische Geräte, die schlicht nicht mehr dem aktuellsten Stand der Technik entsprechen. Inmitten dieser Deponie leben etwa 6000 Menschen unter katastrophalen Umständen. Es gibt kein sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen fehlen ebenso wie adäquate Unterkünfte. Die Menschen schlafen in sporadisch zusammengebauten Blechhütten oder unter alten Brettern. Das Schlimmste jedoch ist die Gesundheitsgefahr, denen sich die Menschen beim Zerlegen der Geräte aussetzen.
Um an die Einzelteile zu kommen, die später verkauft werden um zumindest etwas Geld zu verdienen, werden Giftstoffe freigesetzt. Diese toxischen Rauchschwaden können innerhalb von kurzer Zeit zu Bluthusten und Gedächtnisverlust führen. Auf die lange Sicht schädigen sie Gehirn und Nervensystem irreversibel. Aufgrund der Armut, Gesundheitsgefahr und der sehr hohen Kriminalität, nennen die Einheimischen Agbogbloshie im Volksmund auch „Toxic City“ oder Sodom. Agbogbloshie ist ein Vorort von Accra, der Hauptstadt Ghanas. Die Regisseure Weigensamer und Kröner waren zwei Jahre vor den Dreharbeiten für Recherchen erstmals dorthin gereist. Beide realisierten viele Jahre unterschiedliche Formate und Dokus für deutsche und österreichische Sender, bevor sie 2006 ihre eigene Produktionsfirma („Blackbox Film & Media“) gründeten.
„Welcome to Sodom“ ist auch deshalb ein so mutiger und unbedingt sehenswerter Film, da er der Lebenswelt und den Menschen, die er porträtiert, mit großer Wertschätzung begegnet. Und mit ungeheurem Respekt. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Film als Anklage gegen das Fehlverhalten der Westeuropäer und der modernen Welt anzulegen bzw. aufzubereiten. Also mit erhobenem Zeigefinger auf jene Wegwerf- und Überflussgesellschaft zu deuten, ohne die es lebensbedrohliche Orte wie Agbogbloshie nicht geben würde.
Doch die Filmemacher Kröner und Weigensamer schwingen eben nicht die moralische Keule, sondern zeigen recht nüchtern den Alltag der dort lebenden Männer, Frauen, Kinder und Greise. Und sie tun dies auf sachliche, zurückgenommene Art. Das heißt auch, dass sie auf eine pathetische, auf die Emotionen der Zuschauer abzielende musikalische Untermalung wie auch auf bedeutungsschwangere Phrasen oder Allgemeinplätze verzichten. Stattdessen sind als Voice-Over die Stimmen der Einwohner zu hören, die freimütig von ihrem Leben auf „Europas größter Elektromüllhalde“ erzählen. Von ihren Sorgen, Ängsten und Problemen, aber auch von Hoffnungen und positiven Erlebnissen.
Man mag annehmen, dass in einer derart lebensfeindlichen Umgebung, Wut, Niedergeschlagenheit und Depression vorherrschen. Doch weit gefehlt, wie viele der behutsam eingefangenen Bilder in „Welcome to Sodom“ eindrucksvoll nahelegen. Obwohl sie allen Grund dazu hätten, hat ein Großteil der Bewohner seinen Mut nicht verloren. Es wird – zwischen all der gefährlichen, harten Arbeit an den unzähligen Feuerstellen – durchaus gelacht, gescherzt, gespielt und geturnt. So macht in einer kurzen Sequenz z.B. ein junger Mann eine Reihe von Überschlägen. Er erscheint bestens gelaunt und vor Energie strotzend. Umgeben ist er dabei von Bergen an defekten Kabeln, verschmorten Plastikteilen, Dreck und verbrannter Erde. An anderer Stelle sehen sich zwei Bewohner der Deponie multimediale Inhalte an, auf die sie auf einem entsorgten aber noch funktionstüchtigen Smartphone gestoßen sind. Sie amüsieren sich über das Gezeigte und kommentieren das Treiben auf den Videos mit einem trockenen „Die Weißen haben einfach zu viel Spaß“.
Die Bewohner sind alles andere als verbittert oder von Hass zerfressen. Im Gegenteil: Sie erscheinen nicht selten genügsam und mit sich und ihrer dramatischen Lage im reinen. Dabei sind die Bilder der Deponie selbst und der Menschen, die in, mit und von ihr leben, erschreckend und gehen unter die Haut. Wie ein fremder Planet oder der Schauplatz einer post-apokalyptischen Dystopie wirkt der Ort. Kilometerweit nichts als Schrott und Müll, giftiger Rauch erschwert die Sicht und sogar Tiere wie Kühe und Schafe durchsuchen den toxischen Boden nach Essebarem. Dies ist ergreifend mit anzusehen und sollte manch einem wohlhabenden Europäer, der sich z.B. mal wieder über Nichtigkeiten wie einen eingeschränkten W-LAN-Empfang beschwert, Demut lehren. So hart es klingen mag: Sodom ist als Name für diesen Ort mehr als passend.
Fazit: Beklemmende, nachdrückliche Doku über die Bewohner einer der größten Elektroschrott-Deponien, die trotz unmenschlicher Lebensbedingungen den Glauben an eine bessere Zukunft nicht verloren haben.
Bewertung: 9/10
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.
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