Vollblüter Kritik

Vollblüter Kritik

Amanda (Olivia Cooke) und Lily (Anya Taylor-Joy) stammen beiden aus wohlhabendem Elternhaus, und doch scheinen sie auf den ersten Blick sehr verschieden. Während Amanda ein emotionaler Eisblock ist, scheint Lily genau das Gegenteil von ihr zu sein: Sie nimmt an Stimmungen und Gefühlen alles wahr, ist hypersensitiv. Beide eint, dass sie ziellos durch den Alltag treiben und ihr wahres Ich nicht zeigen können. Da Amanda nicht verborgen bleibt wie groß Lilys Hass auf ihren Stiefvater (Paul Sparks) ist, kommt ihr eine makabre Idee. Ein Einfall, der für die beiden Teenager jedoch zunehmend an Attraktivität gewinnt: Amanda schlägt vor, Lilys Stiefvater zu ermorden. Doch da sie sich selbst natürlich zu schade für eine solche Tat sind, suchen sie sich ein Opfer. Auf einer Party lernen sie den vorbestraften Tim (Anton Yelchin) kennen. In Lilys und Amandas Augen ein bemitleidenswerter Angehöriger der Unterschicht, der ohnehin nichts zu verlieren hat. Können sie ihn dazu bringen, sich auf den perfiden Plan einzulassen?

„Vollblüter“ ist das Regie-Debüt von Cory Finley und wurde bereits Mitte 2016 gedreht. Nachdem der Thriller im Januar 2017 seine Weltpremiere auf dem Sundance Filmfest feierte, kommt er nun mit anderthalbjähriger Verspätung doch noch in die deutschen Kinos. Finley und sein Team realisierten „Vollblüter“ in Windeseile: Nach nicht einmal vier Wochen waren die Dreharbeiten in Boston beendet. Eine Besonderheit ist, dass dabei ausschließlich in Privatwohnungen und nicht in einem Studio gedreht wurde. Die 24-Jährige Olivia Cooke feierte ihren Durchbruch in der Serie „Bates Hotel“, für die von 2013 bis 2017 insgesamt fünf Staffeln produziert wurden. Taylor-Joy wurde 2015 durch den Horrorfilm „The Witch“ bekannt, im Jahr darauf war sie in M. Night Shyamalans „Split“ zu sehen.


Das große Plus dieses reduzierten, psychologischen Thrillers sind zweifelsfrei seine beiden famos aufspielenden Hauptdarstellerinnen. Olivia Cooke und Anya Taylor-Joy statten ihre Figuren mit einer beklemmenden Emotionslosigkeit und unberechenbaren Kühlheit aus. Eine unermessliche Leere zeichnet die Zwei aus und schon der geringste Anflug von innerer Regung oder einer sich möglicherweise ändernden Gefühlslage, manifestiert sich in ihren Gesichtern. Das Spiel mit Gestik und Mimik beherrschen beide Darstellerinnen trotz ihres zarten Alters schon jetzt herausragend. Wir dürfen gespannt sein, in welchen Rollen uns Cooke und Taylor-Joy in den kommenden Jahren noch überraschen und begeistern werden.

Bei Beiden, Amanda und Lily, täuscht das Äußere: Wirken sie auf den ersten Blick und rein optisch zerbrechlich und unerhört grazil, verbirgt sich hinter dieser Zartheit tatsächlich doch eine unermessliche emotionale Kälte und verstörende Rationalität. Und: auf gewisse Art auch ein bedrückender Phlegmatismus. Amanda und Lily sind nicht greifbar und undurchschaubar, sie sind in der Gleichgültigkeit ihren Mitmenschen gegenüber vereint. Das macht sie so gefährlich. Bedrohlich wirkt auch die Atmosphäre, die über dem filmischen Geschehen liegt und in Form dringlich Anspannung immer stärker auch auf den Zuschauer übergeht. Denn zunächst erscheint es zum Beispiel alles andere als sicher, dass Amanda und Lily mit ihren Überredungskünsten und Spielchen, in die sie Tim verwickeln, Erfolg haben. Und ob dieser, ein bemitleidenswerter und innerlich zerrütteter Drogendealer, damit auf das „Angebot“ einsteigt.

Beachtlich sind die eleganten Kamerafahrten und erlesenen Einstellungen, die Regie-Debütant Finley in den richtigen Momenten gekonnt einsetzt. Hinzu kommen die plastischen, fast steril wirkenden Hochglanzbilder jener glattpolierten und unzugänglichen Oberschichtenwelt, der Amanda und Lily angehören. Die Ausstattungen der Häuser wirken kühl und minimalistisch, alles ist penibel sortiert, geordnet, sauber und strahlend. An den Wänden hängen vergoldete Spiegel, sündhaft teure Antiquitäten und üppige Vasen säumen das Wohnzimmer. Annehmlichkeiten wie ein Klavier, ein überdimensionales Schachbrett sowie lebensgroße -figuren vor dem Haus und ein Tennisplatz verstehen sich von selbst. Finley entwirft das schauderhafte Bild einer von der Außenwelt und dem wirklichen Leben abgeschotteten, abgestumpften Schicht, die sich als etwas Besseres sieht und dabei innerlich verkümmert.

Das Ende von „Vollblüter“ ist konsequent und folgerichtig. Denn zum einen untermauert es nochmals nachhaltig die Lethargie und Rücksichtslosigkeit (vor allem eines) der Mädchen. Außerdem erfährt man als Zuschauer am Ende dann doch noch, woher der kryptisch anmutende Filmtitel herrührt und welche metaphorische Entsprechung ihm zukommt.

Fazit: Visuell betörendes, zynisches und enorm stilvolles Porträt einer verlorenen Generation oberflächlicher Teenager, die im Luxus aufwachsen und vom Überfluss gelangweilt sind.


Bewertung: 9/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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