Total Recall

Total RecallDarf ein Science-Fiction-Film philosophisch angehaucht, actionreich und extrem gewalttätig sein, und dennoch ungeheuren Spaß machen? Wenn einer diese Frage mit einem entsprechenden Streifen beantworten kann, dann wohl Paul Verhoeven, der schon mehrfach erfolgreich bewies, dass aus Holland mehr kommt als Käse und Wohnwagenurlauber. „Total Recall“ spaltete dennoch – oder gerade deshalb – sowohl Zuschauer, als auch Kritiker: Hirnloses Popcorn-Kino mit überzogenen Gewaltdarstellungen? Geniales Meisterwerk? Unterschätzt? Überschätzt?
Eben jener Frage wollen wir uns in dieser total gnadenlosen Kritik widmen.

Mars macht mobil!
In gar nicht so ferner Zukunft führt der Bauarbeiter Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) ein gar nicht so übles Leben: Er ist mit der wunderschönen Lori (Sharon Stone) verheiratet, die ihn über alles liebt, verdient gutes Geld, hat ein hübsches Apartment und nette Arbeitskollegen. Eigentlich könnte er zufrieden sein, würde er sich nicht aus unerfindlichen Gründen nach dem Mars verzehren. Nacht für Nacht träumt er davon, sich auf dem Roten Planeten zu befinden, noch dazu in Begleitung einer ihm unbekannten, attraktiven Frau.

Selbst Loris Vorschläge, Urlaub auf dem Meeresgrund zu buchen, fruchten nicht. Als Douglas die Werbung der Firma Rekall Inc. sieht, die implantierte, künstliche Erinnerungen anbieten, welche von echten Erinnerungen nicht zu unterscheiden sind, ist es um ihn geschehen. Obwohl ihn sein bester Kumpel ausdrücklich vor Rekall warnt, sucht er das Firmengebäude auf und entscheidet sich für eine künstliche Erinnerung an einen Marsaufenthalt. Und mehr noch: Er wechselt für die Zeit des „Aufenthalts“ seine Identität, um den grauen Alltag zumindest in seinen Erinnerungen hinter sich zu lassen. Als fiktiver Geheimagent, so wird ihm versprochen, würde er ein aufregendes Leben führen, tausend Gefahren trotzen, den Mars retten und die Frau seiner Träume erobern.

Doch irgendetwas läuft bei der Implantierung schief: Anscheinend war Douglas tatsächlich ein Geheimagent, der aus welchen Gründen auch immer die falsche Identität eines Bauarbeiters erhielt. Bei Rekall sorgt diese Entdeckung für helle Aufregung: Man verfrachtet den unter Narkose stehenden Douglas in ein Taxi, das ihn nach Hause bringen soll. Ab diesem Zeitpunkt überschlagen sich die Ereignisse: Douglas’ Kumpel und Freund will ihn umbringen, seine eigene Frau verübt einen Mordanschlag auf ihn, und ganze Scharen von Agenten hetzen hinter ihm her. Schließlich bleibt ihm nur noch eine Wahl: Er muss zum Mars aufbrechen …

Doppelbödiges Spiel
Selbst eine mehrseitige Zusammenfassung des Plots würde diesem nicht gerecht werden, denn: „Total Recall“ funktioniert auf mehreren Ebenen, was ihn zu einem anregenden, faszinierenden Streifen macht. Die offensichtlichste Betrachtungsebene ist natürlich das Spiel mit der Gewalt. Nach einer ausreichenden Charaktereinführung legt Verhoeven los, und das – wie gewohnt – ohne Rücksicht auf Verluste bzw. Schnitte der FSK. Es wird geballert, geprügelt, geblutet und gemordet, dass es für jeden Actionfan ein Fest der Superlative ist.

Und dennoch verbirgt sich eine zweite Ebene dahinter, die dem Zuschauer einiges an Gehirnschmalz abverlangt. Wenig verwunderlich, basiert doch „Total Recall“ auf einer Kurzgeschichte des genialen SF-Autors Philip K. Dick. Zwar kann man dermaßen zahlreiche Abweichungen zu besagter Kurzgeschichte namens „We Can Remember It For You Wholesale“ feststellen, dass nur noch wenige Fragmente des Textes in den Film einflossen. Aber überraschenderweise gelang es Verhoeven, den Geist des Dick’schen Universums einzufangen und im Film zum Ausdruck zu bringen: Was ist die Wirklichkeit?

Dieser Frage widmet sich „Total Recall“ fast von Anfang an. Sobald Douglas bei Rekall Inc. die gewünschten Erinnerungen – die sogar mit gefälschten Souvenirs wie Flugkarten zum Mars „belegt“ werden sollten – bestellt, ist die ganze Aufmerksamkeit des Zuschauers gefordert. Bereits Douglas’ Flucht zum Mars wird auf höchst ungewöhnliche Weise eingeleitet: Ein Unbekannter lässt ihm einen Handkoffer zukommen, in dem sich einige nützliche Werkzeuge befinden, nebst einem Laptop, der ein Video abspielt, das offensichtlich Douglas selbst angefertigt hat. Darin beschwört er sich selbst, zum mittlerweile bewohnten Mars zu fliegen, um die Antworten auf seine Fragen zu erhalten.
Der Clou an der Sache: Douglas soll noch wenige Monate zuvor ein Geheimagent namens Hauser gewesen sein, der für den marsianischen Untergrund den unerbittlichen Diktator Cohaagen (Ronny Cox) bekämpfte. Im Laufe des Filmes muss Douglas (Hauser?) jedoch erkennen, dass er Opfer einer Verschwörung geworden ist, die dereinst von ihm selbst eingefädelt worden ist.

Verwirrend? Durchaus, doch gerade darin liegt der Reiz des Filmes. Statt eines geradlinigen SF-Actionreißers zelebriert Verhoeven ein hintersinniges Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers, indem er diese immer wieder auf den Kopf stellt. Zu viel zu verraten, wäre unfair, weshalb nicht näher ins Detail gegangen werden soll. Versprochen werden kann, dass „Total Recall“ nicht kalt lässt, sondern im Gegenteil eine Eigenschaft zu Tage fördert, die leider gerade in den letzten Jahren dem SF-Film fast völlig abhanden gekommen ist: Neugierde und Originalität.

Verhoeven regt noch über das Ende hinaus zum Nachdenken und Diskutieren an, etwa, indem die Frage, was nun implantierte Erinnerung und was Wirklichkeit, was Traum und was Realität ist, ganz bewusst offen lässt. Tatsächlich sind mehrere Deutungen des Filmes möglich, was „Total Recall“ zu einem der intelligentesten Science-Fiction-Filme überhaupt macht.

Perfekte Darsteller-Crew, perfekte Effekte, perfektes Design
Dem überragenden Drehbuch, das unter anderem von „Alien“-Drehbuchautor Dan O’Bannon stammt, schließen sich nahtlos die oscarnominierten Special Effects und das wunderbare Design an. Der Marsoberfläche haftet stets etwas Unwirkliches inne, um den krassen Gegensatz zur gewohnten Erdoberfläche widerzuspiegeln. Trotz aller technischen Spielereien wirkt zumindest die Erdenwelt nicht futuristisch abgehoben: Zwar werden die Taxis dieser Zukunft von sprechenden (und mitunter flapsigen) Robotern gesteuert. Doch komplett abgehobene Konzepte findet man dabei nicht. Im Gegenteil: Die Hologrammdarstellungen sind technologisch realisierbar (allerdings noch sehr teuer und aufwändig herzustellen) und die Durchleuchtung von Passanten „bis auf die Knochen“ keine Science Fiction mehr.

Die Schauspielerriege könnte kaum besser gewählt sein: Sharon Stone ist in ihrer Rolle als Douglas’ attraktive Frau mehr als nur ein hübscher Aufputz. Ihre Ambivalenz zwischen (echter oder gespielter) Besorgnis sowie Mordlust verleiht der Rolle enormes Profil. Gegenspieler Ronny Cox, der den durchtriebenen Marsdiktator Cohaagen zum Besten gibt, beweist seine große Klasse ein weiteres Mal, und Michael Ironside („Starship Troopers“) verkörpert den kalten und dennoch süffisant ironischen Killer gewohnt trocken. Zu Arnold Schwarzenegger muss man keine großen Worte mehr verlieren: Er war und ist „Mister Action“, was er auch in „Total Recall“ eindrucksvoll unter Beweis stellt. Zwar zählt er nicht unbedingt zu den Schauspiel-Titanen, doch die zwiespältige Rolle des Douglas Quaid / Hauser ist ihm wie auf den gestählten Leib geschnitten.
Ursprünglich war Charaktermime Richard Dreyfus für diese Rolle vorgesehen gewesen, was den Film zweifellos in eine andere Richtung getrieben hätte. Denn als „Actionheld“ ist der schmächtige Dreyfus genauso unglaubwürdig, wie Arnie als Shakespeare-Darsteller.

Natürlich kann man den Film auch als Hohelied auf männlichen Überlegenheitswahn verstehen, wenn der Held quasi im Vorbeigehen ein Problem nach dem anderen löst und die Frauen dahinschmachten lässt. Andererseits haben die weiblichen Protagonisten keine bloße Alibifunktion inne, sondern agieren selbstbewusst und zielstrebig. Nach starker, männlicher Hilfe kreischendes Beiwerk sieht anders aus.

Kurzum: „Total Recall“ ist schlichtweg ein Meisterwerk, das allerdings vom Rezipienten, ähnlich wie „Starship Troopers“, verstanden werden will und den Mythos Schwarzenegger endgültig zementierte: Aus dem plumpen Haudrauf-Barbar war der größte Actionstar aller Zeiten geworden. Nicht wenige sehen in „Total Recall“ den besten Arnie-Film überhaupt – eine durchaus ernstzunehmende These, selbst unter Beachtung der ersten beiden „Terminator“-Filme.

Selten zuvor und danach bot die Science Fiction ein dermaßen gewaltiges Repertoire an Phantasie, Überraschungen und Doppelbödigkeit. Abschließend sei Interessierten die Uncut-Version des Filmes ans Herz gelegt, um ihn auch tatsächlich in seiner ganzen Tragweite und Genialität genießen zu können.

Darsteller

  • Arnold Schwarzenegger … Douglas Quaid / Hauser
  • Sharon Stone … Lori
  • Rachel Ticotin … Melina
  • Ronny Cox … Cohaagen
  • Michael Ironside … Richter
  • Marshall Bell … George
  • Rosemary Dunsmore … Dr. Lull

Regie
Paul Verhoeven

Produktionsland, Jahr
USA, 1990

Total Recall Trailer

Das könnte dir auch gefallen:

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.