Schwesterlein Kritik

Schwesterlein Kritik

Lisa (Nina Hoss) und Sven (Lars Eidinger) sind Zwillinge. Die Geschwister haben sich für unterschiedliche Lebenswege entschieden. Während Lisas berufliche Erfolge als Autorin lange zurückliegen und sie ihrem Mann in die Schweiz folgte, ist der angesehene Theaterschauspieler Sven in Berlin geblieben. Seine Arbeit muss er unterbrechen, als bei ihm Leukämie diagnostiziert wird. Lisa entscheidet sich dazu ihrem Bruder Knochenmark zu spenden und nach der OP machen sich beide auf zu ihrem Mann und den Kindern in die Schweiz. Dort soll Sven zu Kräften kommen. Doch der getriebene Mann, dem der Beruf über alles geht, will schnellstmöglich wieder auf die Berliner Theaterbühne. Das schweizerische Provinzleben erdrückt ihn. Erschwert wird die Lage, als auch zwischen Lisa und ihrem Mann ungelöste Konflikte und bislang unausgesprochene Bedürfnisse ans Licht kommen.

Der Anfang 2019 gedrehte Film feierte seine internationale Premiere auf der diesjährigen Berlinale, wenige Wochen vor Ausbruch der Corona-Pandemie. Das Schicksal einer lebensgefährlichen Erkrankung und der Umgang damit stehen als zentrale Themen ebenso im Mittelpunkt von „Schwesterlein“. Inszeniert wurde das Drama von den Regisseurinnen Véronique Reymond und Stéphanie Chuat. Seit fast 20 Jahren entwickeln die Beiden gemeinsam Stoffe und inszenieren ihre Werke sowohl fürs Theater als auch fürs Kino.

Chuat und Reymond lassen viel Sorgfalt und Feinsinn bei der Gestaltung dieser außergewöhnlichen Bruder-Schwester-Beziehung walten, die hier nachdrücklich und mit emotionaler Wucht verhandelt wird. Lisas und Svens Umgang miteinander ist ein ganz Besonderer. Sie verstehen sich ohne große Worte und Unterredungen. Vereint sind sie in der Liebe zu Lyrik, Literatur und dem Theater. Insgeheim und subtil scheint häufiger durch, dass Lisa ihren Bruder auch beneidet: Er konnte seine beruflichen Ziele verwirklichen und seinen Traum als Darsteller leben.

Lisa hingegen steckte immer schon zurück und widmete ihr Leben der Familie – während ihr Mann Martin Karriere (er ist Leiter einer angesehenen Schule) machen und sich eine gewisse Reputation aufbauen konnte. All diese Konflikte, ungesagten Wahrheiten und unterdrückten Gefühle vermag Hauptdarstellerin Hoss mit ihrer bedrückenden und glaubhaften Darbietung gekonnt darzustellen. Oft hält sie sich zurück und schluckt ihren Frust herunter, etwa bei den Gesprächen mit ihrer bisweilen gehässigen, komplizierten Mutter (herausragend: Marthe Keller). Doch ab und an bricht sich die Verbitterung – in Form unvermittelter, heftiger Wutattacken und emotionaler Ausbrüche. Wie in einer Szene mit ihr und Martin, in dem sie ihm vorgetäuschtes Interesse und Scheinheiligkeit vorwirft.

Auch Lars Eidinger als todkranke, immer zynischer werdende männliche Hauptfigur brilliert. Kraftvoll spielt er die Zerrissenheit seiner Figur, die zwischen Überlebenswillen und Selbstaufgabe hin- und herschwankt. Dramaturgisch, inszenatorisch und erzählerisch ist „Schwesterlein“ ein mit Ruhe und Besonnenheit realisierter Film, in dem Stimmungen und Emotionen durch die Schauspieler transportiert werden. Ihren Sehnsüchten, Wünschen und Themen (Selbstverwirklichung, Selbstachtung, Todeskampf u.a.) widmet sich „Schwesterlein“ hingebungs- und respektvoll.

Fazit: „Schwesterlein“ ist wagemutiges, ganz und gar unalltägliches Schauspieler-Kino, das von seinen nuancierten Darbietungen und der erzählerischen Besonnenheit lebt.

Bewertung: 9/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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