„Haben Sie schon mal den Mann im Mond geseh’n?“, fragte in den 1960er-Jahren Schlagersänger Gus Backus. Eine berechtigte Frage, die im Fall von Duncan Jones’ Science-Fiction-Film „Moon“ reichlich nüchtern beantwortet wird. Denn dieser Mann im Mond trägt erstens den banalen Namen Sam Bell und trägt zweitens ein unauffälliges Gesicht zur Schau. Kurzum: Mit abenteuerlustigen Entdeckern hat Sam freilich ohnehin nichts am Hut. Seine Aufgabe besteht lediglich darin, drei Jahre lang eine auf dem Mond befindliche Anlage in Gang zu halten.
Klingt öde und eher wie deutsches oder französisches Selbstfindungskino? Mitnichten! „Moon“ ist ein auf- und anregendes Abenteuer der stillen und nachdenklich stimmenden Art. Dass Regisseur Duncan Jones gleich mit seinem Debütfilm für hymnische Kritiken sorgen würde, dürfte wohl nicht nur ihn überrascht haben, sondern auch seinen – noch – ungleich bekannteren Vater, einen gewissen David Bowie …
High Moon
Irgendwann in der nahen Zukunft: Dank dem Unternehmen „Lunar“ steht der Erde Energie in Hülle und Fülle zur Verfügung. Denn diese baut auf unserem Trabanten Helium-3 ab, welches zur Kernfusion verwendet wird. Allerdings läuft die Mondanlage nicht gänzlich automatisch. Der Astronaut Sam Bell (Sam Rockwell) bemannt und wartet die Förderanlage seit drei Jahren ganz alleine. Seine einzige Konversationsquelle stellt die künstliche Intelligenz namens GERTY (Originalstimme: Kevin Spacey) dar. Zwar leidet Sam unter der Einsamkeit, zumal seine Frau Tess (Dominique McElligott) und Töchterchen Eve (Kaya Scodelario) sehnsüchtig auf seine Rückkehr warten. Aber die Aussicht darauf, schon bald seinen dreijährigen Vertrag zur Gänze erfüllt zu haben, lässt ihn durchhalten.
Ausgerechnet wenige Tage vor Vertragserfüllung geschieht ein Unglück: Sam verunfallt bei einer Routineinspektion mit seinem Mondfahrzeug. Zu seiner eigenen Verblüffung stirbt er nicht, sondern erwacht in der Mondstation wieder. Wer hat ihn aus dem Wrack befreit und seine Wunden versorgt? Diese Frage wird von einer ganzen Reihe nicht minder mysteriöser Ereignisse begleitet, die Sams gesamtes Weltbild auf den Kopf stellen sollen …
Space Oddity
Kinder berühmter Persönlichkeiten stehen meist im Schatten ihrer Eltern. Duncan Jones wäre eigentlich ein klassisches Beispiel hierfür. Als Sohn von Pop-Ikone David Bowie sollte er sich stets am langen Schatten seines Erzeugers messen lassen müssen. Doch mit seinem Spielfilmdebüt „Moon“ hat er es tatsächlich geschafft, sich selbst ins Rampenlicht zu stellen. Ganz kann er freilich die Wurzeln nicht verleugnen: Gleich seinem Vater zeigt Duncan Jones große Faszination für den Weltraum und die Science Fiction. Auch wenn man solche Vergleiche nicht unbedingt bemühen sollte: Ein wenig wirkt „Moon“ doch wie die Verfilmung von „Space Oddity“, einem der berühmtesten Songs des großen David Bowie. Gleich Major Tom aus dem Lied befindet sich Sam Bell komplett abgenabelt von der Erde in einer kalten Einöde. Seine Einsamkeit bekämpft er mittels Gesprächen mit GERTY und seinen Topfpflanzen sowie dem Angucken alter Videoaufnahmen seiner Frau und Tochter.
Was reichlich unspektakulär klingt erweist sich jedoch als herausforderndes Kino der hintergründigen Art. Hier zerlegen keine Aliens ganze Städte, drohen keine Computer ihre Erschaffer zu versklaven und wird niemand in Rebellionen gegen böse Weltraum-Imperatoren verwickelt. „Moon“ ist eine Reise in den „inner space“ – und hebt sich somit wohltuend vom bombastischen Effektegewitter vieler anderer Genrewerke ab. Für manche Leser dieser Filmkritik mag dies abschreckend wirken. Diese seien jedoch beruhigt: Langweilig wird es trotz völliger Absenz großer Actionszenen an keiner Stelle. Von Beginn weg zieht die Handlung gerade durch ihre schiere Alltäglichkeit in den Bann. Durchschnittsmensch Sam hat den wohl einsamsten Arbeitsplatz des bekannten Universums inne und muss ständig daran arbeiten, nicht komplett dem Wahnsinn zu verfallen. Ein Dilemma, das auch auf Grund der nüchternen Kulissen nachvollziehbar erscheint. Hier blinken keine tausend LED-Lämpchen, hüpfen keine putzigen Roboter herum oder erzeugen Hologramme die Illusion von Normalität.
Alles, was Sam zur Verfügung steht, um nicht durchzudrehen, sind die freundliche Stimme von GERTY, alte Videobänder seiner Familie, Topfpflanzen und sein Hobby: Das Basteln von Gebäuden.
Früher Plot-Twist erhöht die Spannung
Außergewöhnlich ist „Moon“ auch dadurch, dass der Streifen seinen Plot-Twist bereits nach relativ kurzer Zeit verrät – und trotzdem nicht an Spannung verliert. Im Gegenteil: Mit dem Wissen des radikalen Plot-Twists im Hinterkopf erhöht sich die Spannung sogar. Denn Duncan Jones ging es nie darum, einen Effekt á la M. Night Shyamalan zu erzeugen, also eine „Pointe“ zum Selbstzweck des Filmes zu gestalten. Eben jener Plot-Twist von „Moon“ ist kein Höhe-, sondern lediglich ein Wendepunkt der Geschichte.
Ab diesem Zeitpunkt werden die philosophischen Aspekte verstärkt, ohne sich in langweiligem Elfenbeinturmkino zu ergehen. Wer jemals Philip K. Dick oder Stanislaw Lem gelesen hat, wird die Essenz der sich zwingend aufdrängenden Fragen erahnen können: Was ist Realität? Und vor allem: Wer bin ich?
Größtes Lob verdient neben der tadellosen Regie der noch viel zu wenig bekannte Hauptdarsteller Sam Rockwell. Dermaßen glaubhaft und unaufdringlich sympathisch hat noch selten zuvor jemand eine „verlorene Existenz“ verkörpert.
Fazit: „Moon“ ist ganz großes Kino im minimalistischen Format. Auf sein Debütwerk darf Duncan Jones ebenso stolz sein, wie David Bowie auf seinen überaus begabten Sohn.
Darsteller
- Sam Rockwell … Sam Bell
- Kevin Spacey … GERTY (Computerstimme)
- Dominique McElligott … Tess Bell
- Rosie Shaw … Eve als Kind
- Kaya Scodelario … Eve als Jugendliche
- Adrienne Shaw … Nanny
- Benedict Wong … Thompson
- Matt Berry … Overmeyers
- Malcolm Stewart … Techniker
Regie
Duncan Jones
Produktionsland, Jahr
GB, 2009
Moon Trailer