Alice im Wunderland – 2010

Filmexzentriker Tim Burton gebührte die Ehre, die bereits 25. Verfilmung des „Alice im Wunderland“-Stoffes vorzunehmen. Es nimmt nicht Wunder, dass Burtons Adaption eines der berühmtesten Romane der Weltliteratur nicht gänzlich werkgetreu ist. Genau so wenig wie die Mitwirkung seiner Gattin Helena Bonham Carter sowie jene von Frauenschwarm Johnny Depp. Zudem handelt es sich um die erste „Alice im Wunderland“-Verfilmung, die – streng trendgemäß, siehe „Avatar“ – in 3D produziert wurde und mit einem Budget von 200 Millionen Dollar um einen der bislang teuersten Filme.

Ob das Ergebnis all den Superlativen und Erwartungen gerecht wird, verraten wir euch nachfolgend. Folgt einfach den schwarzen Buchstaben auf dem weißen Hintergrund!

Die Braut die sich nicht traut und deshalb abhaut

Die inzwischen erwachsene Alice (Mia Wasikowska) wurde vom Schicksal nicht gerade begünstigt. Nach dem Tod ihres geliebten Vaters wird sie von ihrer Mutter zur Teilnahme an einem Fest aristokratischer Langeweiler gezwungen. Schlimmer noch: Vor erwartungsvoll versammelter Schar macht ihr der humor- und farblose Herzog Hamish (Leo Bill) völlig unvermittelt einen Heiratsantrag! Die überrumpelte Alice denkt gar nicht daran, sich den gesellschaftlichen Konventionen zu unterwerfen und nützt die erstbeste Gelegenheit zur Flucht. Eine Gelegenheit in Form eines wild gestikulierenden, weißen Kaninchens.

Kurz darauf stürzt Alice wieder einmal durch den Kaninchenbau hinab in die kuriose Wunderwelt ihrer Kindheit. Freilich: Nicht nur Alice ist erwachsen geworden, auch die Bewohner der quietschbunten Welt voll sonderbarer Gestalten haben sich teils drastisch gewandelt. Der verrückte Hutmacher (Johnny Depp) ist nur noch ein Schatten seiner selbst, denn die grausame Rote Königin (Helena Bonham Carter) hat ihre Schwester, die Weiße Königin (Anne Hathaway, „Plötzlich Prinzessin“), entmachtet und herrscht mit eherner Faust. Ausgerechnet die zierliche Alice soll die Ordnung in der Wunderwelt wieder herstellen, indem sie den fürchterlichen, der Roten Königin getreuen, Drachen Jabberwocky (Originalstimme: Christopher Lee) erschlägt …

Denn zum Köpfen sind sie da!
Wie eingangs bereits erwähnt handelt es sich bei Burtons Version um die nicht weniger als 25. Verfilmung der literarischen Vorlage von Lewis Carroll. Erstmals wurde „Alice im Wunderland“ 1903 verfilmt, wobei die aus 1951 stammende Disney-Version am Bekanntesten sein dürfte. Wie nicht anders zu erwarten war findet Burton seinen gänzlich eigenen Zugang zur Geschichte. Diesem Zugang fallen weite Teile der Figuren aus Carrolls Roman zum Opfer: Neben dem neunmalklugen Riesenei Humpty Dumpty fehlen unter anderem das heimtückische Walross, der Zimmermann oder die Herzogin. Der völlig unter der Fuchtel seiner mordlüsternen Gemahlin stehende Herzkönig muss sich 2010 mit einem makabren Cameo-Auftritt begnügen.

Zum Protagonisten an Alices Seite avanciert der Verrückte Hutmacher, was wohl vorrangig mit dessen Verkörperung durch Johnny Depp zu tun haben dürfte. Übrigens arbeiteten der in Frankreich wohnende Frauenliebling und Tim Burton zum bereits siebenten Male für ein Filmprojekt zusammen. Des Regisseurs eigene Gattin, Helena Bonham-Carter, brachte es bislang „nur“ auf sechs Rollen in Burton-Filmen.

Während Johnny Depps Schauspielkunst ohnehin über jeden Zweifel erhaben ist, rückt Newcomerin Mia Wasikowska in den Fokus der Betrachtung. Die optisch stark an eine junge Mia Farrow erinnernde Australierin meistert die Herausforderung durchaus souverän, eine sowohl zerbrechlich wirkende, als auch zur Emanzipation entschlossene erwachsene Alice zu verkörpern. Freilich lässt ihr das erschreckend schwache Drehbuch – hierzu gleich mehr – leider wenig Raum, um sich nachhaltig in die Herzen der Zuschauer zu spielen.

Apropos Herzen: Besonders eitel dürfte Helena Bonham Carter nicht sein. Denn als böse Rote Königin – „köpft sie!“ – wird sie mit einem gigantischen Kopf sowie clownartigem Makeup dargestellt. Ihr Gegenstück, die gute Weiße Königin, verkörpert eine im wahrsten Sinne des Wortes blasse Anne Hathaway die aussieht, als wäre sie in einen Riesentopf mit Puder gefallen.

Entschuldigung: Das echte Drehbuch wurde von meinem Hund gefressen!
Über die visuelle Pracht eines 200-Millionen-Dollar-Werkes sollte man keine großen Worte verlieren müssen, wäre da nicht der Umstand, dass Burtons „Alice im Wunderland“-Version zwar reichlich morbide, aber völlig leblos, wie auch künstlich wirkt. Natürlich entspringen die meisten Szenen wie auch Figuren den CGI-Zauberern. Doch muss dies dermaßen offensichtlich sein? Oder handelt es sich um pure Absicht? Wer weiß.

Die eigentliche Schwäche des Filmes stellt das Drehbuch dar. Gewiss: Die Idee, eine erwachsene Alice erneut Abenteuer im Wunderland erleben zu lassen besitzt Esprit. Leider gelingt Burton der zugegebenermaßen schwierige Spagat zwischen ernsthaftem Melodram und ausgelassener Albernheit in keiner Phase des Filmes. Daran, dass Alice aus ihrem Abenteuer gereift herauskommen wird, besteht natürlich kein Zweifel. Weshalb Burton jedoch wertvolle Zeit mit der obsoleten Frage verschwendet, ob es sich bei Alice tatsächlich um „die“ Alice handelt, welche Jahre zuvor bereits das Wunderland aufmischte, stellt ein Rätsel dar.

Bei aller Liebe für Burtons ausgeprägten Sinn fürs Makabre und Düstere präsentiert sich die Wunderwelt weniger als Welt der Wunder, denn vielmehr als Welt der Abscheulichkeiten und des Verfalls. Sinnbildhaft für diese Neuinterpretation steht die Nicht-Geburtstagsparty des Verrückten Hutmachers mit seinen tierischen Freunden: Eingepfercht zwischen ausgebrannten Ruinen und einem düsteren Waldstück lamentieren die Partygäste apathisch vor sich hin und beschimpft der Verrückte Hutmacher die Grinsekatze aufs Übelste. Von Ausgelassenheit, Komik und fröhlich dargebotenen Albernheiten ist nicht einmal mehr eine Spur zu erahnen.

Wer angesichts der komplett humorbefreiten Inszenierung wenigstens auf ein versöhnliches Finale hofft, wird arg enttäuscht. Wie eine von Selbstzweifeln gequälte Jeanne D’Arc Light tritt Alice zum Kampf auf Leben und Tod mit dem Jabberwocky an, während sich die Armeen der Roten und der Weißen Königin mit dem dumpfen Charme der „Chroniken von Narnia“ bekämpfen. Was all dies mit dem Zauber der Vorlage zu tun hat? Natürlich so gut wie gar nichts.

Aber darum ging es Burton offenbar auch überhaupt nicht, der mit seiner Version von „Alice im Wunderland“ die Fehler seines „Planet der Affen“-Remakes eindrucksvoll wiederholt. Viel Effekthascherei, bombastischer Soundtrack, pathetisches Geschafel. Allein: Es hilft nichts, wenn die Vorlage nur als Fototapete für möglichst lautes Kino dient.

Der Unterhaltungswert abseits der CGI-Spielereien bleibt indes völlig auf der Strecke. Als Fazit nach knapp zwei Stunden der für Kinder ungeeigneten Neuverfilmung bleibt: Viel Aufwand, der nach dem Abspann längst wieder vergessen ist und jeglichen Charme vermissen lässt.

Bilder: ©Disney Enterprises, Inc. All Rights Reserved.


Darsteller

  • Mia Wasikowska … Alice Kingsley
  • Johnny Depp … Der Verrückte Hutmacher
  • Helena Bonham Carter … Die Rote Königin
  • Crispin Glover … Herz-Bube Ilosovic Stayne
  • Anne Hathaway … Die Weiße Königin
  • Matt Lucas … Diedeldum und Diedeldei
  • Stephen Fry (Sprecher) … Grinsekatze (Sprecher)
  • Alan Rickman (Sprecher) … Die Raupe Absolem
  • Michael Sheen (Sprecher) … Das Weiße Kaninchen
  • Christopher Lee (Sprecher) … Jabberwocky
  • Timothy Spall (Sprecher) … Bayard
  • Barbara Windsor (Sprecher) … Haselmaus
  • Michael Gough (Sprecher) … Dodo
  • Paul Whitehouse (Sprecher) … Märzhase

Regie
Tim Burton

Produktionsland, Jahr
USA, 2010

Alice im Wunderland Trailer

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