Wenn einer der exzentrischsten Regisseure Hollywoods eine Biographie über jenen Regisseur dreht, der als Symbol unterirdisch schlechter Filmproduktionen gilt, dreht, kann eigentlich nur ein Meisterwerk das Endresultat sein. Oder etwa doch nicht?
Ob Tim Burtons Streifen über den grandios gescheiterten Filmemacher Ed Wood diesem Anspruch gerecht wird, lest ihr in dieser Filmkritik, die hoffentlich nicht als die schlechteste Rezension aller Zeiten in die Geschichte eingehen wird.
Knock on Wood
Hollywood in den 1950er Jahren: Mitten in der spießigen, extrem konservativen Gesellschaft jener Tage versucht ausgerechnet der schräge Ed Wood (Johnny Depp) – oder Edward D. Wood junior, wie er sich vorzustellen pflegt – die Filmewelt aufzumischen. Seine Leidenschaft sind alte Horrorfilme sowie Science-Fiction-Streifen, die zu jener Zeit einen ungeheuren Boom erleben.
Doch jeder Versuch, als Regisseur Fuß zu fassen, scheitert. Miserable Produktionsbedingungen, lächerlich geringe Budgets, fehlendes technisches Equipment. Stets muss der sympathische, vom Film besessene Ed Wood Misserfolge einstecken, von denen er sich jedoch nicht entmutigen lässt. Ganz im Gegenteil: Als er zufällig den schwer von seiner Drogensucht gezeichneten, abgehalfterten Ex-Star Bela Lugosi (Martin Landau) kennen lernt, entwickelt sich eine tiefe Freundschaft zwischen dem ungleichen Paar. Ed zuliebe spielt Lugosi, der einst als Dracula ein umjubelter Filmstar war, in jämmerlichen Filmchen mit.
Dennoch bleibt Ed der große Durchbruch versagt. Zu allem Überfluss verlässt ihn auch noch seine Freundin Dolores (Sarah Jessica Parker) und seine Vorliebe für das Tragen von Angora-Pullovern befremdet seine religiösen Geldgeber …
Liebevoll-bunte Hommage an Schwarzweiß-Zeiten
Tim Burtons Entscheidung, diese Tragikomödie rund um den als „schlechtester Regisseur aller Zeiten“ bezeichneten Wood in schwarzweiß zu drehen, erweist sich als goldrichtig. Die Atmosphäre der 1950er Jahre wird auf diese Weise wunderbar eingefangen und verschmilzt mit den seinerzeit ebenfalls im billigeren Schwarzweiß gedrehten Filmen Ed Woods zu einem Ganzen, das wie aus einem Guss und entsprechend authentisch wirkt.
Die Kostüme, Masken, Requisiten und vieles mehr tragen zu dem extrem gelungenen Set bei, das ironischerweise nicht selten ebenso „billig“ wirkt wie Woods legendäre Pappkulissen.
Goldgriff
Auch in Punkto Rollenbesetzung erwies sich Burton wieder einmal als Midas unter den Regisseuren: Der damalige Jungstar Johnny Depp beweist sein enormes Einfühlungsvermögen und verkörpert Ed Wood sympathisch, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.
Zu Oscar-Ehren gereichte Martin Landaus Darstellung des tattergreisigen, drogensüchtigen Bela Lugosi. Völlig zu Recht, denn Landau vermag seine Figur mit einer Mischung aus Trotzigkeit, Altersstarrsinn, wehmütigen Erinnerungen an bessere Zeiten und einer Portion Wahnsinn zu zeichnen, ohne im Geringsten überkandidelt zu wirken.
Auch die weiteren Rollen sind ausnahmslos perfekt besetzt: Sarah Jessica Parker, nicht gerade für ihre hohe Schauspielkunst bekannt, kann als Woods entnervte Freundin durchaus überzeugen.
Einmal mehr grandios agiert Bill Murray, der es als Bunny Breckinridge schafft, einer an sich tragischen Figur Würde und feine Selbstironie einzuhauchen und in seinen (leider wenigen) Szenen sogar Depp und Lugosi die Schau stiehlt.
Der wenig bekannte Jeffrey Jones kann als charmanter Scharlatan Criswell ebenso überzeugen und bildet gemeinsam mit Murray ein Gespann faszinierender Nebendarsteller.
Respektvolle Verbeugung vor der Kunstform Film
Über Tim Burtons Regiekunst muss man wohl keine Worte mehr verlieren: Selbst in weniger gelungenen Streifen wie dem gnadenlos überdrehten „Mars attacks!“ erzeugt er eine einzigartige, direkte Verbindung zum Zuschauer, der ihm darob selbst kleinere Schwächen wie einen Hang zu deplatzierten Manierismen verzeiht.
Was neben Burtons Regie, den stimmigen Sets und einem grandiosen Schauspielensemble „Ed Wood“ zum Meisterwerk macht, ist aber das Drehbuch. Glücklicherweise verzichtet Burton darauf, den zeitlebens erfolglosen Ed Wood der Lächerlichkeit preiszugeben und präsentiert im Gegenteil einen bewundernswerten Menschen, der niemals den Mut und den Glauben an sich selbst verlor und stets seine Integrität bewahrte. Trotz aller Widerstände bekennt sich Wood zu seinem Angora-Fetischismus, greift zu allen Tricks, um seine Filme produzieren zu können, und schafft es dank seines ansteckenden Optimismus, mehrere höchst unterschiedliche Charaktere zu seinem Freundeskreis zählen zu dürfen.
Man könnte „Ed Wood“ auch mit folgendem Satz prägnant zusammenfassen: „Ein fanatischer Filmemacher errichtet einem anderen ein filmisches Denkmal.“
Übertrieben? Absurd?
Nein, denn obgleich Ed Woods Filme (wir beschränken uns auf seine „seriösen“ Filme und klammern wohlweislich seine späteren, aus Geldnot heraus entstandenen Pornos aus)so weit vom Prädikat „Meisterwerk“ entfernt sind wie Österreichs Fußballnationalmannschaft vom Weltmeistertitel, kann man ihnen zumindest ehrliches Bemühen nicht absprechen. Immerhin muss man die Umstände der Produktion berücksichtigen, die selbst für damalige Verhältnisse extrem schwierig waren.
Ed Wood als schlechtesten Regisseur aller Zeiten zu bezeichnen, ist völlig abstrus, zudem, wenn man seine Machwerke etwa mit Bert I. Gordons grottenschlechten Fließbandproduktionen vergleicht. Während dessen Filme lieblos hingeschluderte Massenware darstellten, die trotzdem – deshalb? – ihr Geld einspielten, steckte Wood sein ganzes Herzblut in seine Filme.
Gewiss wäre es völlig falsch, ihn als verkanntes Genie zu bezeichnen. Doch zwischen ihm und „Mr. BIG“ oder dem grottenschlechten „Regisseur“ Francis Coleman liegen Welten an Inspiration und Dialogwitz.
„Ed Wood“ ist mehr als nur eine Biographie – Burtons Film ist eine Ode an das, was uns Menschen ausmacht: Optimismus trotz unzähliger Fehl- und Rückschläge.
Und deshalb endet dieser Film konsequenterweise an jener Stelle, die wohl Ed Woods größten Misserfolg markiert.
Nicht nur von den Erfolgen, auch von den Misserfolgen können wir lernen. Burtons Lehrmeister dürfte somit Ed Wood geheißen haben.
Darsteller
- Johnny Depp … Ed Wood
- Martin Landau … Bela Lugosi
- Bill Murray … Bunny Breckinridge
- Sarah Jessica Parker … Dolores Fuller
- Patricia Arquette … Kathy O’Hara
- Jeffrey Jones … Criswell
- Vincent D’Onofrio … Orson Welles
Regie
Tim Burton
Produktionsland, Jahr
USA, 1994
Ed Wood Trailer