Pearl Harbor

Pearl Harbor KritikDrei Jahre nach Titanic kam ein Film in die Kinos, der Camerons Blockbuster endlich übertrumpfen sollte. Für dieses Vorhaben war nichts teuer genug: Rund 160 Mio. $ butterte Disneys Touchstone-Pictures in das Unternehmen „Versenkt die Titanic im Dollar-Ozean“.
Den Hintergrund bildete der japanische Angriff auf Pearl Harbor, bis heute ein nationaler Trauma-Mythos der US-Amerikaner. Dazu viel Kawumm und Bumm und amerikanische Flaggen. An nichts wurde gespart! An nichts? Nun ja, höchstens an ein paar unbedeutenden Kleinigkeiten: Eine gute Story, fähige Schauspieler, Spannung …

Widmen wir uns der unglaublich komplexen Story: Danny Walker und McCawley sind seit ihrer Kindheit die besten Freunden. Ihr Berufswunsch ist klar: Sie wollen Piloten werden (vernünftiger wäre gewesen, sie hätten als Schauspieler reüssieren wollen).
Und da wir uns nicht in der Realität sondern in einem Film befinden, gelingt dies natürlich auch, und sie werden waghalsige Piloten im Dienste der Gerechtigkeit.

Da dieser Film auch weibliche Zuschauer benötigt, wird Kate Beckinsale als Evelyn ins Geschehen geschmuggelt, die in der Army als Krankenschwester tätig ist. Natürlich verliebt sich Rafe McCawley unsterblich in sie. Ich kann ihn gut verstehen – mich machen auch Frauen unheimlich an, die mir dutzendweise Spritzen in den Allerwertesten verpassen.

Ach, es ist ja auch zu romantisch, wie die beiden einander lieben lernen: Rafe kippt im Lazarett um und schlägt sich die Nase blutig. Nach altem Yankee-Brauch muss Evelyn deshalb mit Rafe ausgehen. Und als Rafe eine Flasche Sekt öffnet, knallt ihm der Korken genau auf den geschwollenen Zinken. Dies ist übrigens der humoristische Höhepunkt des Filmes.

Ziemlich unverhohlen biedert sich Michael Bay an das große Vorbild Titanic an, wenn Rafe und Evelyn in einem kleinen Ruderboot zu einem riesigen Dampfer schippern und Evelyn erklärt, sie möchte eines Tages auf einem solchen mitreisen. Beinahe erwartet man, Leo DiCaprio an Bord des Dampfers zu erblicken.

Wenngleich Evelyn die angeblich tollste Frau auf Erden ist, meldet sich Rafe freiwillig als Pilot einer Einheit in Großbritannien, die das Königreich gegen die Nazis verteidigen sollen. Dabei wird England von jener Seite gezeigt, wie es sich ein Klischee-Ami wohl vorstellt: Grau, regnerisch, bevölkert von hässlichen, steifen Briten.

Bei einem Luftkampf wird Rafe abgeschossen und stürzt mit seiner Maschine ins Meer.
Evelyn wird der Tod ihres Freundes gemeldet, was vermutlich den ersten dramaturgischen Höhepunkt des Machwerks bilden soll. In einem RTL-Movie hätte der Film nun zu Ende sein können, vielleicht mit einem wehenden, transparenten Sternenbanner vor dem glutroten Horizont und den Worten: „Er starb für die Freiheit aller Menschen in sämtlichen Ländern der Erde, Cola erwerben zu dürfen“.

Doch halt! Der Film heißt Pearl Harbor, und noch steht der Angriff der Japaner auf den Flottenstützpunkt der Amis bevor.
Dramaturgischer Schwenk nach Pearl Harbor, wo Evelyn und Danny ihren Dienst versehen. Und nachdem Titanic eine tolle Liebesgeschichte hatte, muss dieser Film gleich zwei tolle Liebesgeschichten aufweisen, denn natürlich verliebt sich Danny in die Freundin seines angeblich verblichenen Freundes. Nun ja, die Trauerzeit ist vorüber (sind ja schon ein paar Stunden her) und das Leben geht weiter.

Um dem weiblichen Teil des Publikums einen weiteren Seufzer der Rührung zu entlocken, gibt sich die schöne Evelyn dem schönen Danny im schönen Pearl Harbor hin (das auch bald schön hin sein wird, ohne den weiteren Geschehnissen vorgreifen zu wollen).
Zwischendurch, um Leute, die mal Geschichte in der Schule hatten, zu befriedigen, wird kurz angedeutet, wie sich die Japaner auf den Angriff vorbereiten. Und in ein paar Szenen verblüfft der Film auf positive Art und Weise: In den wenigen Dialogfetzen japanischer Generalstäbe wird nicht die übliche „Wil gelben Männel nun töten Ami-Schweine!“-Schmonzette aufs Auge des unbedarften Zuschauers gedrückt, nein, da hört (besser: liest) man nach Erklärung des Angriffsziels folgenden Dialog: „Sie sind ein weiser Mann“ „Nein, ein weiser Mann wüsste den Krieg zu verhindern“.

Und dass der Krieg seitens der Japaner ein Akt der Verzweiflung gegen die restriktive Politik der Amerikaner war, die mit allen Mitteln verhindern wollten, dass Japan eine ernstzunehmende Konkurrenz wird (mit Forderungen, die man selber niemals akzeptiert hätte; nachdem diese von den Japanern abgelehnt wurden, verhängten die Amis ein totales Embargo über Japan und unterstellt die philippinischen Streitkräfte den USA) vernahm ich in einem Hollywood-Film auch noch nie.

Leider entschädigen diese überraschenden Einsichten nicht für den Schwachsinn geballter drei Stunden, und der Rest ist die übliche „Gute Cowboys gegen böse Indianer“-Tour durch die Hirnwindungen psychisch Leck geschlagener Drehbuchautoren. Dass die Amis bereits drei Tage vor dem Angriff den japanischen Einsatzbefehl „Ostwind-Regen“ aufgefangen hatten und entgegen der offiziellen Geschichtsschreibung wussten, was bevorstand, wird wohlweislich verschwiegen. (siehe Verschwörungstheorien zum Angriff auf Pearl Harbor bei Wikipedia)

Gerade für den Präsidenten Roosevelt war diese Nachricht beileibe kein Schock – er wusste ja davon und hatte sich mit seinem Stab darauf geeinigt, die Pazifikflotte nicht zu warnen, damit Japan als feiger Aggressor dastehen würde. Rückblickend muss man Roosevelts Politik natürlich Respekt zollen: Fast alle Welt verurteilte die Japaner als hinterhältige Monstern, die US-Bevölkerung, bis dahin noch gegen einen Krieg eingestellt, wurde von einer Welle des Patriotismus erfasst.

Dass zweieinhalbtausend Amerikaner „geopfert“ wurden, das hat Roosevelt eingeplant. Genau so, wie er alle Friedensangebote Japans, das sogar bereit war, den Dreimächtepakt mit Deutschland und Italien aufzugeben, ausgeschlagen hatte.
Warum erzähle ich das? Weil der Film unter diesem Aspekt betrachtet nachdenklich macht: Man sieht einen betroffenen Roosevelt, der die Nachricht vom Angriff entsetzt entgegennimmt. Man sieht, wie hunderte Amis völlig sinnlos sterben, weil sie nicht gewarnt wurden. Und wenn man sich vergegenwärtigt, dass all dies hätte vermieden werden können, muss man sich die Frage stellen, warum ein Film des 21. Jahrhunderts immer noch zu feige ist, die historische Wahrheit zumindest in homöopathischen Dosen einfließen zu lassen. Aber egal, es sieht ja cool aus, wie amerikanische Schiffe von Torpedos versenkt werden, wie gesichtslose Japaner Flüchtende und hilflos im Wasser Treibende abknallen. Und als wollte Michael Bay Titanic zumindest szenenweise kopieren, kann man eine aus eben diesem Film wohlbekannte Sequenz, fast 1:1 übernommen, verfolgen, nämlich das Sinken eines gigantischen Schiffes, sein Aufbäumen, wie sich verzweifelte Menschen an der Reling festklammern und dennoch in die tödliche Tiefe stürzen.

Ach, über all dem vergaß ich den zweiten dramaturgischen Höhepunkt: Eines schönen Tages, kurz vor dem Angriff, bekommt Evelyn unerwarteten Besuch. Es ist Rafe, der doch nicht gestorben war, sondern von französischen Fischern gerettet worden war und nun zurückkehrt. Die Verspätung erklärt sich wohl damit, dass er die tumben Franzosen erst davon überzeugen musste, dass er kein Fisch sei.

Jedenfalls ist natürlich – Höhepunkt Nr. 3 – das Gefühlschaos perfekt, denn als er erfährt, dass sein vorgeblich bester Kumpel an ihr herumgeknabbert hat, will er sie nicht mehr und sie ist ganz doll traurig.
Man muss ihn verstehen: Das ist wie mit Essen, das ein anderer schon mal in der Hand hatte.
Danny und Rafe sind nun keine Freunde mehr, aber zum Glück für sie rollt der japanische Angriff an und sie müssen sich zusammenraufen. Dabei löschen sie mal eben die komplette japanische Luftwaffe aus und begeben sich auf eine enorm gefährliche Mission in Feindesland.
Schlussendlich passiert noch etwas – Höhepunkt Nr. 4 – das aber derart vorhersehbar ist, dass ich ihn nicht erwähnen muss.

Pearl Harbor scheitert einfach grandios. So perfekt die Schlachtszenen sind, alles andere wirkt dramaturgisch extrem billig und aufgesetzt. Was bei Titanic großartig funktionierte, nämlich ein Ereignis, dessen Eintreten und Resultat jeder Zuschauer kennt, in eine derart mitreißende Story zu verpacken, dass der Film nicht bloß Staffage für eben dieses Ereignis ist, misslingt hier in atemberaubendem Maße.

Die „Liebesgeschichte“ unterbietet mühelos jede Laienspiel-Produktion. Die Dialoge sind einfach nur peinlich und wirken, als hätte sie eine 13jährige nach der Lektüre eines Rosamunde-Pilcher-Werks geschrieben (was durchaus möglich scheint. Hat Michael Bay eine 13jährige Tochter?).
Die Protagonisten agieren erbärmlich. Der historische Hintergrund hätten ebenso gut der Burenaufstand oder das Fußball-Endspiel 1990 sein können.

Was bleibt von diesem Film? Tolle Schlachtszenen. Punkt.
Der einzige Trost, den man aus dieser Zumutung von Film beziehen kann, ist, dass sein Einspielergebnis von einer halben Milliarde $ (ohnedies viel zu viel!) weit hinter den Erwartungen zurückblieb und es vermutlich keine Fortsetzung geben wird.


Darsteller

  • Ben Affleck
  • Josh Hartnett
  • Kate Beckinsale

Regie
Michael Bay

Produktionsland, Jahr
USA, 2001

Pearl Harbor Trailer



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