Heavenly Creatures Kritik

Gab es für den Neuseeländer Peter Jackson eine Karriere vor der „Herr der Ringe“-Trilogie, die ihn auf einen Schlag in den Rang eines Superstars katapultierte? Durchaus, wenngleich diese im Schatten der Tolkien-Verfilmungen geradezu verkümmern. Allenfalls Horrorfans werden seine frühen Filme wie „Braindead“ oder „Bad Taste“ geläufig sein.

Dabei zeigte sich Jackson bereits Jahre vor seinen Fantasy-Schlachtplatten von einer erstaunlich ernsthaften Seite. Der auf einer wahren Begebenheit basierende Streifen „Heavenly Creatures“ fand sogar das Wohlwollen der Kritiken, wurde für den „Oscar“ nominiert und gewann den Silbernen Löwen von Venedig. Zu Recht? Dem wird diese irdische, mit gutem Geschmack und bei vollem Bewusstsein verfasste Kritik nachspüren.

Zwei Mädchen gegen den Rest der Erwachsenenwelt
Neuseeland in den 1950er Jahren: Hier ist die Welt anscheinend noch in Ordnung. Vom verheerenden Weltkrieg verschont und stolzer Teil des Commonwealth, präsentiert sich das kleine Städtchen Christchurch als Oase inmitten der Nachkriegswirren und weltweiter Unruhen.

Aber der Schein trügt: Juliet (Kate Winslet) und Pauline (Melanie Lynskey) stürmen kreischend und blutüberströmt in den Vorgarten einer völlig verstörten Hausfrau. Was ist den Mädchen nur Schreckliches zugestoßen?

Um dies zu begreifen, setzt der Film unmittelbar vor der schicksalhaften Begegnung der beiden Teenager ein. Pauline, an ihrer Schule das unbeachtete Mauerblümchen, freundet sich ausgerechnet mit der neuen, aus gutsituierten Verhältnissen stammenden Mitschülerin Juliet an. Eine Freundschaft, die den äußeren Verhältnissen trotzt. Denn während Paulines Eltern mehr schlecht als recht über die Runden kommen und wenig gebildet sind, führen Juliets Eltern ein wohlhabendes Leben und haben beste Ausbildungen genossen.

Immerhin jedoch haben die beiden Mädchen einiges gemeinsam, wie etwa ihre schwärmerische Hingabe für den seinerzeit berühmten Opernsänger und Schauspieler Mario Lanza oder ihre Vorliebe für Fantasy-Welten, in die sie sich tagträumerisch flüchten, wenn die triste Realität sie zu überrollen droht.
Anfangs zeigen sich beide Elternpaare erfreut über die tiefe Freundschaft. Doch schon bald keimt in ihnen der Verdacht, zwischen ihren Töchtern wäre mehr im Spiel als nur unschuldige Freundschaft, woraufhin die Hulmes, wie auch die Riepers alles daran setzen, die Beiden zu entzweien.

Schlussendlich droht ihnen sogar der endgültige Abschied voneinander: Juliet hat noch nicht einmal die Hiobsbotschaft der Trennung ihrer Eltern verdaut, da folgt der nächste Schock. Sie soll bei Verwandten in Südafrika untergebracht werden – freilich ohne Paulines Begleitung! Eine tödliche Entscheidung, wie sich schon bald herausstellen wird …

Ernsthaftes Drama mit Fantasy- und Humorelementen
Bei „Heavenly Creatures“ handelt es sich um einen auf einer tragischen Begebenheit basierenden Stoff, den Peter Jackson sowohl feinfühlig, als auch betont leicht, mit düsteren Untertönen, meisterhaft verfilmte. Dabei tappte er nicht in die Falle, sich mit schnöder Aneinanderreihung von spekulativ aufpolierten Lebensgeschichten zu begnügen (etwa Gus van Sants glattgeschliffener, langweiliger „Milk“) oder die Täterinnen zu glorifizieren.

Im Gegenteil: Von Anfang an bemüht sich der Film um eine ausgewogene, nachvollziehbare Darstellung der Ereignisse. Schon das Kennenlernen der beiden Mädchen deutet auf eines der wesentlichen Elemente des Streifens hin: Die geteilte Leidenschaft fürs Makabre, gespeist aus schmerzhaften persönlichen Erfahrungen. Während Pauline von einem schlimmen Unfall eine Narbe geblieben ist, schlägt sich Juliet mit ständigen Erkrankungen herum, die für ihre Eltern Grund genug darstellten, sie immer wieder auf „Erholungsreisen“ zu schicken – alleine.

Dem nicht genug leiden die Beiden unter gestörten Beziehungen zu ihren Eltern. Zwar stellen die Hulmes ihre vorgeblich harmonische Ehe zur Schau. Aber schon bald wird dem Zuschauer klar, dass es sich um eine Fassade handelt und Juliets liebenswerter, wenngleich schusseliger Vater nur noch auf dem Papier eine Ehe führt. Denn seine Frau empfindet mehr Verachtung, als Liebe für ihn, und setzt ihm bei erstbester Gelegenheit die Hörner auf.

Pauline wiederum kann die Langeweile und Banalität des Familienlebens nicht mehr ertragen. Anschaulich dokumentiert dies Jackson, wenn zu Weihnachten stets dieselben Geschenke mit denselben Floskeln ausgetauscht werden.

Dieser grausamen bzw. grauen Realität entfliehen die jungen Frauen, indem sie gemeinsam Fantasy-Welten erschaffen. Dabei werden zunächst Figuren aus Ton erschaffen, die anschließend mit fiktiven Lebensgeschichten „beseelt“ werden und in Juliets und Paulines Tagträumen zu Leben erwachen. Während diese Tagträume anfangs noch harmlose Phantastereien sind und dies auch dem Zuschauer vermittelt wird, verwischen sich die Grenzen zur Realität in zunehmendem Maße.

Kein Schiff wird kommen …
Diese als „die vierte Welt“ bezeichnete Fantasy-Welt wird von Juliet und Pauline kreiert, die gleichsam als deren Chronistinnen auftreten. In langen, schwülstigen Briefen tauschen die Beiden Abenteuer und Heldentaten ihrer Phantasiefiguren aus, die allmählich zu ihren „Alter Egos“ werden. Höhepunkt dieser Entwicklung ist eine Szene, in welcher sie offenbar die exakt selben Tagträume teilen.

Derart feine Charakterisierungen können nur von herausragenden Schauspielerinnen überzeugend herausgearbeitet werden. Erfreulicherweise gelingt dies in exzellenter Weise! Die eher unbekannte Melanie Lynskey kann als unbeholfene Pauline ebenso brillieren, wie Kate Winslet nur drei Jahre vor „Titanic“. Aber auch die Nebenrollen sind perfekt besetzt und zeichnen sich gerade dadurch aus, von wenig prominenten Schauspielern verkörpert zu werden.

Am Rande des Wahnsinns und darüber hinaus
Äußerst beeindruckend ist die stringente Erzählweise, die zwar de facto 2 Handlungsstränge aufweist – die „reale“ Welt sowie Juliets und Paulines „vierte Welt“ -, diese jedoch geschickt miteinander verknüpft und an keiner Stelle Längen aufweist. Wie die beiden Mädchen zu Freundinnen werden, sich ihre Freundschaft vertieft, auf Ablehnung stößt und schließlich die geballte Kraft der Wut und des aufgestauten Hasses in einer fürchterlichen Bluttat enden, wird glaubhaft wie auch eindringlich vermittelt.

Dabei versteht es der einstige „Splatter-Filmer“ meisterlich, sich einer eindeutigen moralischen Wertung zu verweigern. Trotz des emotionalen Inhalts schildert der Film die Vorgänge, ohne jedoch Stellung zu beziehen. In einem logischen Zirkelschluss endet „Heavenly Creatures“ dort, wo er begonnen hat: Mit einem unfassbaren Mord, dessen vermutliche Beweggründe fast zwei Stunden lang aufgearbeitet werden.

Neben dem mitreißenden Schauspiel, dem intelligenten Drehbuch und der tadellosen Regiearbeit zählt der übersprudelnde Ideenreichtum zu den Stärken des Films. Im Gegensatz zu seinen folgenden Filmen setzt Jackson Spezialeffekte nur an wenigen Stellen und ganz gezielt ein. Die sowohl grotesken, als auch verblüffend bedrohlich wirkenden „lebendigen“ Tonfiguren der Märchenwelt verleihen „Heavenly Creatures“ eine einzigartige Atmosphäre. Dabei kann Jackson seine filmische Herkunft nicht ganz verleugnen: Zwei kurze Szenen zeichnen den makabren Humor seiner „Splatter“-Werke nach.

Meisterwerk ohne Ablaufdatum
Somit stellt „Heavenly Creatures“ ein leider immer noch zu wenig beachtetes Meisterwerk dar, welches durch den tragischen Hintergrund zusätzliche, bedrückende Tiefe gewinnt. Bei den zwischendurch immer wieder eingestreuten Tagebucheintragungen Paulines handelt es sich übrigens um Originalzitate des damaligen Teenagers.

Eine weitere makabre Note erhält das Geschehen dadurch, dass beide von einer Autorenkarriere in Hollywood träumten. Ein Traum, der sich zumindest für Juliet erfüllte, die unter dem Namen Anne Perry zu einer höchst erfolgreichen Autorin wurde. Ein lange gehütetes Geheimnis, das passenderweise erst zum Filmstart von „Heavenly Creatures“ enthüllt wurde.


Darsteller

  • Kate Winslet … Juliet Hulme
  • Melanie Lynskey … Pauline Rieper
  • Sarah Peirse… Honora Rieper
  • Diana Kent … Hilda Hulme
  • Clive Merrison … Dr. Henry Hulme
  • Simon O’Connor … Herbert Rieper
  • Gilbert Goldie … Dr Bennett

Regie
Peter Jackson

Produktionsland, Jahr
Neuseeland / Großbritannien / Deutschland, 1994

Heavenly Creatures Trailer

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Ein Kommentar

  1. Eine gute und richtige Kritik. Hab den Film als Kind gesehen, und gestern noch mal weil er mir seitdem nicht aus dem Kopf ging. Leider wirklich wenig beachtet, aber ein wunderschönes Meisterwerk.

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