
England im späten 18. Jahrhundert: Die 15-jährige Lara (Hannah Rae) lebt mit ihrem Vater (Greg Wise), Gouvernante Miss Fontaine (Jessica Raine) und der Dienerin Margaret (Lorna Gayle) auf einem üppigen, abseits gelegenen Anwesen. Da Lara keine Freunde oder Gleichaltrige zum Zeitvertreib hat, fühlt sie sich einsam. Als dann auch noch ihre Freundin Charlotte einen angekündigten Besuch aufgrund von Krankheit absagen muss, ist Lara untröstlich. Das Schicksal aber scheint es gut mit ihr zu meinen, als die junge Carmilla (Devrim Lingnau) unweit des Anwesens auftaucht. Carmilla hatte einen Unfall mit ihrer Kutsche und soll sich im Haus von Lara und ihrer Familie erholen. Zwischen den Teenagern entwickelt sich bald eine besondere Beziehung, doch kurz darauf erkranken Lara und andere junge Frauen an einer geheimnisvollen Krankheit.
„Carmilla“ beruht auf der gleichnamigen Vampir-Novelle von Gothic-Horror- und Mystery-Autor Sheridan Le Fanu, die dieser 1872 verfasste. Le Fanu und speziell seine Erzählung „Carmilla“ beeinflussten einen der bekanntesten Horror-Schriftsteller aller Zeiten: Bram Stoker („Dracula“). Nun erzählt Regisseurin Emily Harris in ihrem Mix aus Fantasy, Historienfilm und Romanze keine klassische Vampir-Horror-Story nach altbekanntem Muster sondern setzt auf Andeutungen, subtile Botschaften und eine ruhige Erzählweise. All dies bekommt „Carmilla“ ausgesprochen gut.
Zunächst nimmt sie sich die Zeit, um die familiären Strukturen von Lara auszuloten und ihr trostloses Leben im goldenen Käfig zu beschreiben. Dabei betrachtet sie vor allem Laras Beziehung zu ihrem Vater und ihrer strengen Erzieherin genauer. Der Vater ist reserviert und abweisend, allerdings leidet Lara noch weitaus mehr unter ihrer Gouvernante. Jessica Raine agiert ausgesprochen einschüchternd als erzkonservative, autoritäre Miss Fontaine, die Lara Gedichte auswendig lernen lässt und jeglichen Anflug vom Aufblühen der Sexualität Laras unterdrückt. Zudem tritt Miss Fontaine exemplarisch als die religiöse, mahnende Instanz jener Zeit auf – eine radikal rückständige, die Freiheit und Entwicklung des Einzelnen beschneidende Institution.
Auch die anderen Darsteller begeistern mit ihren ausdrucksstarken, virtuosen Auftritten. Vor allem Hannah Rae und Devrim Lingnau. Während der Dreharbeiten waren Rae und Lingnau noch nicht oder gerade erst volljährig – dennoch schaffen sie es, ihre Gefühle und ihren inneren Antrieb für den Zuschauer glaubwürdig und problemlos nach außen zu kehren. Vor allem der sensiblen Lara fühlt man sich nah. Lobenswert ist außerdem, dass Harris die sich langsam aufbauende Beziehung zwischen Lara und Carmilla mit erstaunlicher Sensibilität und Intimität einfängt. Hier wirkt nichts gehetzt oder reißerisch. In den Szenen, in denen Rae und Lingau gemeinsam vor der Kamera zu sehen sind, ist die Atmosphäre aufgeladen und elektrisierend.
Mit Beginn des letzten Aktes hält in „Carmilla“, der nicht zuletzt von einer erlesenen Bildsprache profitiert, die Spannung Einzug. Dann dominieren eine unheilvolle Stimmung und alptraumhafte Atmosphäre das Geschehen. Allerdings nie so, dass es übertrieben theatralisch oder aufgesetzt wirkt. Mit Bedacht baut Harris ihre Suspense-Momente ein, ebenso die blutigeren Horror-Elemente. Von letztgenannten weiß man lange nicht: Spielen sich diese nur in Laras Träumen und Einbildung oder in der Realität ab. Dieses Zweideutige passt wunderbar zur mysteriösen, anziehenden Aura des Werks.
Fazit: Verbotene Gefühle, geheimnisvolle Mächte und den Einfluss von Religion auf das Leben der Menschen im Hochadel des 18. Jahrhunderts: Der erlesen gefilmte „Carmilla“ fasziniert durch seine Mehrdeutigkeit, die unbehagliche Stimmung sowie die unangepasste, entschleunigte Inszenierung.
Bewertung: 8/10
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.