Saatgutvertreter Richi (Moisé Curia) fährt mit einem kleinen Mädchen (Anna Malfatti) im Wohnmobil durch Süddeutschland. Die Zwei kommen super miteinander aus, reißen Witze, spielen, verkleiden sich und toben herum. Während sie in einem Gasthof im Schwarzwald Halt machen, wundert sich der Wirt ob des Altersunterschieds und wie Richi und das Mädchen, das einen seltenen romanischen Dialekt spricht, miteinander umgehen. Unterdessen geht die Polizeikommissarin Milia Demetz (Cosmina Stratan) in Rom einem besonders heiklen Fall nach: Sie ermittelt im Cyberspace gegen ein großes Netzwerk von Pädophilen. Auf einem anonymen Video erkennt sie Magdalena Senoner. Das Mädchen verschwand vor Jahren spurlos. Als sie die Bilder der Überwachungskamera des Wirts sieht, wird klar: bei dem darauf zu erkennenden Kind handelt es sich um Magdalena. Kann Milia den Fall aufklären?
Lange war es still um die italienische Regisseurin Isabella Sandri, die 2003 („La zattera di sabbia“) ihren letzten Film allein inszeniert hat. Ab 2004 arbeitete sie viele Jahre eng mit ihrem Regie-Kollegen Giuseppe M. Gaudino. Die Beiden drehten bis 2010 mehrere Filme zusammen, seitdem war Sandri allerdings an keiner Produktion mehr beteiligt. Für die weibliche Hauptrolle in „Nicht dein Mädchen“ konnte sie die rumänische Journalistin und Schauspielerin Cosmina Stratan gewinnen, die vielen deutschen TV-Zuschauern aufgrund ihrer Mitwirkung in erfolgreichen Krimis („Nord Nord Mord“, „Tatort“) bekannt sein dürfte.
Sandri verlässt sich in ihrem schwermütigen, nicht einfach zu verdauenden Mix aus (Entführungs-) Drama, Thriller und Sozialstudie ganz auf die psychologische Wirkung ihres Films. Und auf die Verwirrung, die sie mit ihrer Figuren- und Charakterzeichnung beim Zuschauer stiftet. Es ist mutig von ihr, dass sie Richi eben nicht als unsympathischen, bösartigen Verbrecher zeigt, sondern als hochempfindsamen, oft sehr warmherzigen und aufmerksamen Protagonisten. Er ist kein Monster, im Gegenteil.
Der aber natürlich unter einer schweren „Einschränkung“ (auf das Wort „Störung“ wird hier bewusst verzichtet) leidet. Er ist pädophil und schafft es nicht, einen adäquaten Umgang damit zu finden. Und hin und wieder blitzen dann eben doch Verhaltensweisen sowie Anflüge von Charaktereigenschaften auf, die verstören und Richi als komplexe, ambivalente Person ausweisen. Dadurch entsteht nicht selten eine zwischen Angst, Panik und Hilflosigkeit aufgeladene Atmosphäre und Spannung, der man sich kaum entziehen kann. Überhaupt lebt der ganze Film von der knisternden Spannung um die Lösung des Falls sowie die Versuche Milias, das Mädchen noch rechtzeitig zu finden und sie wieder in die Obhut ihrer Familie zu übergeben.
Moisé Curia verleiht seiner Figur eine unerträgliche psychologische Tiefe und rätselhafte Aura. Ihm in nichts nach steht Cosmina Stratan als resolute, aber mit ihren eigenen inneren Dämonen kämpfende Ermittlerin. Sie schafft es auf natürliche und sensible Weise, die Gefühle, den Antrieb und die Motivationen der Kommissarin offenzulegen, die in ihrem Wettlauf gegen Zeit die Oberhand zu behalten versucht. Und letztlich passen sich auch die trostlosen, düsteren Bilder der beklemmenden Gesamtstimmung von „Nicht dein Mädchen“ an. Sandri setzt auf dunkle Farben, wolkenverhangene Himmel, triste und zerfallende Dörfer, Weltuntergangsstimmung.
Fazit: Kraftvoll inszeniertes, virtuos geschnittenes Thriller-Drama über ein Tabu-Thema, das von Anfang bis Ende fesselt und mit seiner trostlosen Bildsprache und den starken Darstellerleistungen im Gedächtnis bleibt.
9/10 Sterne
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.