Winterdieb Kritik

winterdieb filmkritikSimon ist zwölf Jahre alt und lebt mit seiner jungen Mutter Louise in ärmlichen Verhältnissen in einem Industriegebiet eines Schweizer Tals. Er macht sich täglich auf den Weg vom Tal hinauf ins verschneite Skigebiet, um dort die wohlhabenden Touristen zu bestehlen. Anschließend verkauft er das Diebesgut an die Kinder seines Wohnblocks. Simon krallt sich alles, was ihm zwischen die Finger kommt: Handschuhe, Helme, Brillen, Skier und sogar Sandwiches. Er erzielt damit ein bescheidenes, aber regelmäßiges Einkommen. Aber Simon klaut diese Sachen nicht etwa, um sich davon PC-Games oder DVDs zu kaufen. Er kauft von dem Geld lebensnotwendige Dinge wie Milch, Brot und Klopapier. Während sich seine Mutter lieber mit fremden Männern herumtreibt und Simon vor ihnen stets als ihren kleinen Bruder ausgibt, muss der Junge für deren Unterhalt sorgen. Seine Machenschaften nehmen mit der Zeit aber immer größere Ausmaße an. Louise, die vor kurzem ihre Stelle verloren hat, profitiert davon und wird immer abhängiger von ihrem Sohn. Bis die Situation zu eskalieren droht.

Mit ihrem ersten Spielfilm „Home“, ein berührendes Familiendrama mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle, gelang der französisch-schweizerischen Regisseurin und Schauspielerin Ursula Meier vor vier Jahren ein überraschender Independent-Hit, der vielfach ausgezeichnet wurde. Dasselbe könnte ihr mit ihrem neuen Film „Winterdieb“ gelingen, der erneut der Gattung des Familien-Dramas zuzuordnen ist. Der Film lief im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale, hatte in diesem Rahmen am 13. Februar seine Weltpremiere und wurde am Ende gar mit dem Silbernen Bären (Sonderpreis) ausgezeichnet. Meier führte hier nicht nur Regie sondern war auch an der Entwicklung des Drehbuchs beteiligt. Mit „Winterdieb“ gelingt ihr ein berührendes, exzellent gespieltes Drama vor traumhafter Bergkulisse, das zwei gegensätzliche, völlig unterschiedliche (Lebens-) Welten auf brutale Weise kollidieren lässt.

In „Winterdieb“ lässt Ursula Meier zwei Welten aufeinanderprallen, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Unten im Tal leben Simon und seine Mutter Louise in ärmlichen Verhältnissen in einem heruntergekommenen, schäbigen Hochhaus, das im Film nur „der Turm“ genannt wird. Wenn sich Simon auf seine täglichen Diebestouren begibt, wird er mit der unwirklichen, für ihn fremden Welt der Schönen und Reichen konfrontiert. Dort sieht er die wohlhabenden Touristen die Pisten hinunterfahren und wie sie sich die Sonne aufs Gesicht scheinen lassen. Simon erweist sich als geschickter, kluger Dieb, der in den richtigen Momenten zuschlägt und zumeinst unentdeckt bleibt. Und wenn er doch einmal bei einem Diebstahl erwischt wird, dann erzählt er dem „Entdecker“ einfach von den ärmlichen Verhältnissen, in denen er leben muss und für was er das durch den Verkauf des Diebesguts erworbene Geld benötigt. Dann darf er weiterziehen und die Ereignisse wiederholen sich Tag für Tag. Großes Lob gebührt den beiden Hauptdarstellern Kacey Mottet Klein als Simon und Léa Seydoux als dessen Mutter Louis. Kleins weiche Gesichtszüge und sein zerbrechlich wirkender Körper stehen im krassen Gegensatz zu seinem überlegten, professionellen Vorgehen bei seinen Diebstählen und seiner Pflicht, schon wie ein Erwachsener für Unterhalt und Einkommen zu sorgen.

Léa Seydoux zeigt als heruntergekommene, nachlässige Mutter, die es nicht schafft, ein geregeltes Leben mit Job und festem Freund zu führen, eine ebensolche Glanzleistung. Louise zieht lieber mit ihren Männerbekanntschaften umher, als sich um einen Job und ihren Sohn Simon zu kümmern. Léa Seydoux ist auf der großen Leinwand längst keine Unbekannte mehr: Sie wirkte bereits in kleineren Rollen in den Kassen-Hits „Inglourious Basterds“ und „Mission: Impossible – Phantom Protokoll“ mit und spielte in dem Kostüm-Drama „Leb` wohl, meine Königin“ eine ihrer ersten Hauptrollen in einer internationalen Produktion. Besonders intensiv sind in „Winterdieb“ jene Szenen geworden, die die beiden Hauptpersonen gemeinsam dabei zeigen, den beschwerlichen Alltag zu meistern und sich irgendwie durchzuschlagen. Dabei wird auch immer wieder deutlich, wie hilf- und schutzlos Louise ohne ihren Sohn doch ist und dass sie ganze Situation schrecklich überfordert. Simon hingegen kämpft täglich um die Liebe seiner Mutter, um ein Stück Geborgenheit und Fürsorge. In einer der beklemmendsten Szenen des Films bezahlt Simon sogar Geld dafür, dass er sich für ein paar Kuscheleinheiten neben seine Mutter ins Bett legen darf. Ebenso schockiert die Szene, in der Louise ihrem Sohn auf deutliche Weise zu verstehen gibt, dass sie ihn am besten gar nicht zur Welt gebracht hätte. In diesen Szenen spiegelt sich die ganze Verzweiflung und Trauer in Simons großen Augen wieder, die in diesen Sequenzen groß im Bild erscheinen. Noch ein Wort zur Optik: Die Bilder von den schneebedeckten Gipfeln und der beeindruckenden Winterlandschaft des Handlungsortes sind echte Hingucker und machen den Gegensatz zum Wohnort der beiden Hauptfiguren (das isolierte Hochhaus in dreckiger, verlassener Gegend) nachhaltig deutlich. In einer kleinen Nebenrolle ist übrigens Gillian Anderson als wohlhabende Touristin zu sehen.

Fazit: „Winterdieb“ ist ein bedrückendes, intensives Familien-Drama vor traumhafter Bergkulisse ohne Kitsch und Pathos. Die Leistung der beiden Hauptdarsteller wird noch lange im Gedächtnis bleibt.

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.


Darsteller:

  • Kacey Mottet Klein
  • Léa Seydoux
  • Martin Compston
  • Gillian Anderson
  • Jean-François Stévenin
  • Magne-Håvard Brekke
  • Johan Libéreau
  • Yann Trégouët

Regie:

  • Ursula Meier

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