Mit „The Amazing Spider-Man“ startet der erste Teil einer neue Filmreihe über den Spinnenmann in den deutschen Kinos. Mit neuem Regisseur und anderen Darstellern versucht Sony Pictures mit dem Reboot, an die Erfolge der Vorgängerfilme anzuknüpfen. 2002 schuf Regisseur Sam Raimi mit „Spider-Man“ eine bunte, technisch atemberaubend umgesetzte Comic-Adaption, die Action und Anspruch auf höchstem Niveau miteinander verband. Der Lohn: Über 800 Millionen Dollar Einspielergebnis an den Kinokassen und zwei gelungene Fortsetzungen (2004 und 2007), die den kommerziellen Erfolg des Erstlings sogar noch übertrafen. Wieso nun also dieser Neustart der Saga, der die Geschichte um die menschliche Spinne nochmals komplett von vorne erzählt anstatt das Netz weiterzuspinnen und einen vierten Teil zu drehen?
Noch 2009 sah es so aus, als würde Sam Raimi noch eine weitere, dritte „Spider-Man“-Fortsetzung inszenieren. Streitigkeiten über die Machart des neuen Films sowie mehrere verworfene Drehbuchentwürfe sorgten jedoch dafür, dass es zum Bruch zwischen Sony und Raimi kam. Im Januar 2010 gab das Produktionsstudio dann bekannt, auf einen vierten Teil verzichten und eine neue Reihe mit neuem Team drehen zu wollen. Und ging dabei ein großes Risiko ein: Auf dem Regiestuhl nahm der bis dahin weitgehend unbekannte US-amerikanische Regisseur Marc Webb Platz, für den „The Amazing Spider-Man“ erst sein zweiter Spielfilm ist. Mit seinem Independentfilm „(500) Days of Summer“ gelang ihm 2009 ein erster Achtungserfolg.
Auch bei der Besetzung der Hauptrolle entschied man sich für eine neues, unverbrauchtes Gesicht. In die Rolle des beliebtesten aller Marvel-Superhelden schlüpft nun der 28-jährige Andrew Garfield, der die Studiobosse in erster Linie durch seine Leistung in dem britischen Drama „Boy A“ (2007) überzeugte. „The Amazing Spider-Man“ ist gleichzeitig eine visuell bestechende, düstere Neuauflage der Reihe und eine handwerklich tadellose Comic-Verfilmung. Und obwohl das Reboot im Vergleich zu den ersten Filmen einige Neuerrungen bietet, hat man am Ende dennoch nicht das Gefühl, dass dieser Film dringend nötig gewesen wäre.
Der Teenager Peter Parker (Andrew Garfield) ist ein Außenseiter. Seit er in seiner Kindheit von seinen Eltern verlassen wurde, lebt er bei seinem Onkel Ben (Martin Sheen) und seiner Tante May (Sally Field). Auf der Suche nach seiner Identität stößt Peter auf das Unternehmen Oscorp Inc., dem früheren Arbeitgeber seines Vaters. Hier lernt Peter den berühmten Genforscher Dr. Curt Connors (Rhys Ifans) kennen. Bei seinen Recherchen im Labor wird Peter von einer gentechnisch veränderten Spinne gebissen. Aus Peter Parker wird bald „The Amazing Spider-Man“. Die so erworbenen Superkräfte werden schnell gefordert: Dr. Connors hat geheime Forschungen betrieben, um seinen bei einem Unfall verlorenen Arm wiederherzustellen. Der Selbstversuch läuft jedoch anders als geplant und Dr. Connors wird zum reptilienartigen Monster The Lizard, das in New York eine Schneise der Verwüstung hinterlässt. Spider-Man sieht sich mit einem schier übermächtigen Gegner konfrontiert.
Marc Webbs Version des Spinnenmanns könnte kaum weiter von Sam Raimis „Spider-Man“ entfernt sein. „The Amazing Spider-Man“ ist aggressiver, finsterer und bedrückender als „Spider-Man“ von 2002 und lässt sich hinsichtlich seiner düsteren Bildsprache und beklemmenden Atmosphäre noch am ehesten mit „Spider-Man 3“ vergleichen. Webb entfernt sich stark von der positiven, fröhlichen Grundstimmung des ersten Spider-Man-Films, in dem Peter Parker der kleine, nette Junge von nebenan ist, auf spielerische Art und Weise seine neu erlangten Fähigkeiten ausprobiert und sich euphorisch in seine ersten Abenteuer stürzt. Peter Parker ist in „The Amazing Spider-Man“ von Beginn an ein verletzlicher, nachdenklicher, melancholischer Junge, der immer noch mit der Vergangenheit hadert und sich die Frage stellt, wieso ihn seine Eltern verlassen haben. Hauptdarsteller Andrew Garfield spielt seinen Peter Parker zwar mit viel Leidenschaft, jedoch fehlen ihm Ausdruck, Charisma und auch die körperliche Präsenz eines Tobey Maguire. Er gibt sich sichtlich Mühe, den innerlich zerrissenen Teenager zu spielen und seine Ängste und Sorgen auf den Zuschauer zu übertragen. Das Verletzliche und Unsichere in seiner Figur beherrscht Garfield einwandfrei, jedoch fehlt seiner Figur die Superhelden-Aura der Vorgänger-Spinne. So kommt Garfield alles in allem schlichtweg zu brav, jungenhaft und zerbrechlich (Statur bzw. Körperbau) daher, als dass man ihm den Superhelden zu jeder Zeit abnimmt. Freilich kann Garfield nichts für sein jugendliches Äußeres oder seinen langen, schlaksigen Körberbau. Für die Darstellung des charismatischen Superhelden Spider-Man eignet er sich daher aber nur bedingt. Garfield ist die weichgespülte Variante von Maguire. Ein Totalausfall ist er aufgrund seiner intensiven Darstellung der inneren Zerrissenheit von Parker aber dennoch nicht. Rhys Ifans als tragischer, fast bemitleidenswerter Wissenschaftler Dr. Connors liefert eine ebenso überzeugende Darbietung ab wie Emma Stone als Parker-Freundin Gwen Stacy, die sich für ihre Rolle die markanten roten Haare blondieren ließ.
Die bedrückte, nachdenkliche Stimmung von Peter legt sich in Form düsterer Bilder über den kompletten Film, der in erster Linie durch seine mitreißenden Action-Szenen und die bestechende visuelle Umsetzung zu überzeugen weiß. Wenn Spider-Man und die monströse Echse auf einer Brücke, in einer Schule oder am Ende zum großen Showdown auf einem Wolkenkratzer aufeinandertreffen und sich waghalsige, spektakuläre Kämpfe liefern, dann braucht sich „The Amazing Spider-Man“ nicht vor seinen Vorgängern verstecken. Die Action-Sequenzen sind laut, schnell, voller gelungener Einfälle und sollten den hohen Erwartungen der Fans in jedem Fall gerecht werden. An dieser Stelle schöpft der Film auch die Möglichkeiten der Dreidimensionalität voll aus. Die 3D-Effekte kommen in den krachenden Action-Szenen am Besten zur Geltung. Aber auch wenn der Zuschauer Spider-Man bei seinen kühnen Sprüngen und Flügen durch die engen Häuserschluchten New Yorks folgen darf, ist Staunen angesagt. In diesen Szenen hält Webb das Tempo konstant hoch und liefert actionreiches, rasantes Comichelden-Kino der ersten Güteklasse.
Zudem dürfte es Comic- und Spidey-Fans der ersten Stunde freuen, dass sich Regisseur Webb deutlich näher an der Comicvorlage bewegt als Raimi. Wie in den Comics erlebt Peter die erste große Liebe mit seiner blonden Klassenkameradin Gwen Stacy und nicht – wie in Raimis Filmen – mit Mary Jane Watson (Kirsten Dunst). Ein weiterer wichtiger Unterschied zu Raimis Spider-Man: Anders als in der „ursprünglichen“ Trilogie besitzt Peter Parker nun keine „natürlichen“ Spinndrüsen mehr, sondern hat ein spezielles Gadget (Netzsprüher) entwickelt, das die berühmten weißen Spinnenfäden verschießt. Diese Änderungen sind als Zugeständnis an die Comic-Fans der ersten Stunden zu verstehen.
Obwohl es an Marc Webbs Reboot handwerklich und technisch nichts auszusetzen gibt, fragt man sich am Ende, ob dieser Film wirklich nötig gewesen wäre. Sicherlich, der Film erzählt die Geschichte um Spider-Man nochmals auf eine neue, weitaus finstere und dunklere Art und Weise und überzeugt mit einigen gelungenen Änderungen. Dennoch: Die Tatsache, dass die Saga bereits ausführlich in filmischer Form erzählt und abgehandelt wurde, sorgt dafür, dass der Film (inhaltlich) kaum mehr Überraschungen bieten kann. Alles kommt einem – trotz der Neuerungen – sichtlich vertraut und geläufig vor. Dies liegt aber nicht an „The Amazing Spider-Man“ selbst sondern schlicht an der großartigen Ursprungstrilogie, die die Geschichte bereits in brillanter Form und schlüssig erzählt hat.
FAZIT: Alles auf Anfang: „The Amazing Spider Man“ erzählt in düsteren Bildern und in starker 3D-Optik die Geschichte um den Spinnenmann neu. Trotz gelungener Änderungen und einiger Modifizierungen hätte es einen Neustart der Reihe aber nicht gebraucht. Der Stoff wurde in der ursprünglichen Trilogie bereits schlüssig und in ausreichendem Maße behandelt.
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.
Darsteller:
- Andrew Garfield
- Emma Stone
- Stan Lee
- Rhys Ifans
- Embeth Davidtz
- Martin Sheen
- Chris Zylka
- C. Thomas Howell
- Sally Field
- Denis Leary
- Irrfan
- Kelsey Chow
- …
Regie:
Marc Webb
Erscheinungsjahr:
2012 / USA
Ich halte es für berechtigt, die Story nochmals von vorne erzählt zu haben. Es gelang nämlich auf eine völlig neue, noch nie dagewesene Art. Gelunger Erstling einer neuen Reihe! Freu mich auf die kommenden Spidey-Filme.
Muss mich meinem Vorgänger anschließen: Super Film, interessante Änderungen und echt sehenswerte Effekte. Nur Andrew Garfield sieht tatsächlich eher aus wie ein 15-jähriger Comic-Leser und Spider-Man-Fan, anstatt selbst Spider-Man glaubwürdig zu verkörpern. Sorry Andrew:)
Für mich der beste Spiderman aller Zeiten. Und das vor allem, weil Andrew Garfield um Welten cooler ist als Tobey Maguire. Ich möchte übrigens Julia mal deutlich widersprechen, Andrew Garfield ist grösser und schlaksiger als Maguire und mit 1,80 Meter genauso gross wie Spiderman in den Comics sein soll. Und Spiderman soll schlank und agil wirken, letztendlich hätte es keine bessere Wahl als Garfield geben können, sowohl optisch als auch schauspielerisch. Maguire wirkte für mich etwas zu klein und zu unsportlich um Spiderman glaubhaft spielen zu können.
Welche Comics meinst du? Aus den 90ern? Die Spidey-Neuauflagen aus den 00er-Jahren?
Die 70er-Jahre-Marvel-SpiderMan-Comics sind in dieser Hinsicht das Maß aller Dinge und dienten auch (abgesehen von der Lovestory Parker-Mary Jane) als Vorbild für die ersten drei Filme. Und in diesen Comics ist Peter Parker kein untergwichtiger Spargeltarzan ohne Ausdruck (wie Garfield) sondern ein durchtrainierter, gutaussehnder junger Typ mit gehörig Charisma (wie Maguire). Schau dir den Parker aus diesen Heften an. Also ich sehe keinen schlanken, abgemagerten Jungen der aussieht, als ob er nächste Woche Kommunion hat:)
Kompromiss: Beide sind echt ansehnlich! Also sowohl die Filme als auch die Darsteller:-)