Nanouk Kritik

Nanouk Kritik

In der kargen Eiswüste von Jakutien lebt der Rentierhirte Nanouk (Mikhail Aprosimov) mit seiner Frau Sedna (Feodosia Ivanova) ein bescheidenes, aber zufriedenes Leben. Sie leben ganz traditionell und ernähren sich von dem, was die Natur hergibt. Darunter vor allem Wildtiere und Fische. Zwei Dinge jedoch bereiten Nanouk Kopfzerbrechen: Das durch den Klimawandel bedingte Schmelzen der Polkappen bedroht den Lebensraum der Ureinwohner. Hinzu kommt eine mysteriöse Krankheit, die sich unter den Wildtieren der Gegend ausbreitet. Eines Tages erhalten Nanouk und Sedna Besuch von einem jungen Mann (Sergei Egorov), ein früherer Freund ihrer Tochter Aga. Über ihn erhalten sie Informationen über ihre Tochter (Galina Tikhonova), die sich vor einiger Zeit gegen ein Leben in der Einöde der Natur entschieden hat und die Familie verließ. Nanouk entschließt sich dazu, in eine für ihn völlig fremde Welt aufzubrechen. Er und seine Frau wollen die Tochter nochmals sehen, denn Sedna ist schwer krank.

Fünf Jahre nach seinem Debütfilm „Otchuzhdenie“, feiert Milko Lazarov mit „Nanouk“, einer deutsch-französisch-bulgarischen Co-Produktion, sein Leinwand-Comeback. Er drehte seine Mischung aus Natur- und Familien-Drama an Originalschauplätzen in Jakutien, einer autonomen Republik der russischen Föderation. Jakutien liegt im nordöstlichsten Teil des asiatischen Russland. Die Republik ist auch unter dem Begriff „Sacha“ bekannt, was wörtlich übersetzt „Mensch“ bedeutet. „Nanouk“ feierte seine Weltpremiere bei der diesjährigen Berlinale. Er lief dort außer Konkurrenz.


Milko Lazarov gelingt mit „Nanouk“ ein metaphorisch aufgeladenes, stilles Drama voller Symbolik, eingebettet in eine atemberaubende Natur. Diese spielt im Film eine eigene Hauptrolle. Jakutien erscheint als eine einzige, gewaltige Schneelandschaft. Ein Ort, der von endloser Weite und unwirtlichen Lebensbedingungen geprägt ist. Ebenso wunderschön wie gefährlich. Die Republik Jakutien ist flächenmäßig beinahe so groß wie die Europäische Union, verfügt aber gerade einmal über rund eine Million Einwohner. Eine extrem dünn besiedelte Region, die immer wieder von reißenden Flüssen und mächtigen Gebirgsketten durchzogen ist. Lazarov versteht es wunderbar, die Natur in majestätischen Aufnahmen und langen Einstellungen für den Betrachter greif- und erfahrbar zu machen.

Wenn er Nanouk auf seinen Streifzügen durch die Umgebung folgt oder ihn beim Jagen zeigt, wird vor allem eines deutlich: Der Rentierhirte muss sich alleine durchschlagen, auf die Hilfe anderer kann er nicht hoffen. Weit und breit keine Menschenseele. Die Einsamkeit als ständiger Begleiter. Und während seine kranke Frau die meiste Zeit über in der Jurte bleibt, streift er umher und sucht nach Nahrung. Dabei entdeckt er einmal am Horizont ein Rentier, dessen Schönheit und Stolz aufgrund der Entfernung für Nanouk und den Zuschauer zwar nicht vollends zu erkennen, immerhin jedoch zu erahnen sind. Für Lazarov steht dieses prachtvolle Geschöpf auch stellvertretend für die Erhabenheit und Idylle der wundervollen Natur, die jedoch immer mehr zu verschwinden droht. Der Klimawandel lässt nach und nach das ewige Eis und damit alle – menschlichen wie tierischen – Wesen verschwinden, die dort ihren Lebensraum haben. Die universelle Botschaft: Die Existenz alles Irdischen ist nur temporär, das Leben ist vergänglich.

Überhaupt wird „Nanouk“ von einem schwermütigen Grundton bestimmt, denn die „Vergänglichkeit“ und das allmähliche „Verblassen“ sind Leitthemen des Films. Lazarov verweist nämlich nicht nur auf das drohende Ende der Gletscher und Polarregionen als Orte wie wir sie kennen, sondern auch auf den Untergang einer eigenen, traditionsreichen Kultur und Lebensform. Denn Nanouk und Sedna gehören zu den letzten ihrer Art: Weise Ureinwohner, die sich noch die Legenden ihrer Ahnen erzählen, althergebrachte Riten pflegen und abseits jeder Zivilisation leben.

Vom Ende der dortigen indigen Volksgruppen mit all ihren Bräuchen und ihrer langen Geschichte künden zudem zeitgemäße Fortbewegungsmittel, die immer nur kurz zu sehen sind. Etwa ein Hubschrauber oder ein motorisiertes Schneemobil. Diese Momente vermitteln Nanouk ebenso wie dem Zuschauer unterschwellig die Botschaft: Die Moderne und die Technologie halten Einzug in einer Welt, die bislang fern jedes zivilisatorischen und technischen Fortschritts existierte. Noch ein Wort zu den Darstellern: Diese standen hier zum ersten Mal vor einer Kamera, Schauspielerfahrung sammelten sie bislang ausschließlich auf Theaterbühnen. Dennoch gelingt es ihnen zu jeder Zeit, mit ihrem authentischen und energischen Spiel zu überzeugen und den Kinobesucher für sich zu gewinnen.

Fazit: Nachdenklich stimmendes, melancholisches Drama über unser von Vergänglichkeit geprägtes Dasein, das mit seinen poetischen Landschaftaufnahmen und dem hohen Symbolgehalt überzeugt.


Bewertung: 8/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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