London, 1814: Mary Godwin (Ella Fanning) ist 16 Jahre jung, als sie mit dem Dichter Percy Bysshe Shelley (Douglas Booth) eine Beziehung eingeht. Im Frühjahr 1816 bekommt die literarisch seit jeher interessierte Mary die Möglichkeit, ihre Idee von einem Buch über Frankensteins Monster im Haus des Skandalautors Lord Byron (Tom Sturridge) vorzustellen. Zuvor hatte Byron eine illustre Gesellschaft zu sich an den Genfer See geladen und zu einem Wettbewerb aufgefordert. Zu den Gästen zählen neben Mary auch noch Percy sowie Marys Stiefschwester Claire (Bel Powley). Mary stößt jedoch weitgehend auf taube Ohren, denn: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat die Gesellschaft nur wenig übrig für Frauen, die sich als Autorinnen versuchen. Erst später erkennen die Menschen die wahre Kunst, die sich hinter dem literarischen Meilenstein „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ verbirgt.
„Mary Shelley“ ist der erste englischsprachige Film der saudi-arabischen Regisseurin und Drehbuchautorin Haifaa Al Mansour, der vor fünf Jahren mit dem Drama „Das Mädchen Wadjda“ der internationale Durchbruch gelang. Al Mansour befasste sich bereits in ihren Kurzfilmen immer wieder mit starken Frauenfiguren und der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. So lag eine Verfilmung von Shelleys Leben durch Al Mansour 200 Jahre nach Veröffentlichung von „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ durchaus nahe. Tatsächlich arbeitete die Filmemacherin bereits seit 2015 an dem Werk, das sie ab Februar 2016 unter anderem in Irland und Luxemburg drehte. Weltpremiere feierte der Film im September 2017 bei den Filmfestspielen von Toronto.
Pünktlich zum großen Jubiläum von Shelleys Hauptwerk („Frankenstein“ erschien am 01. Januar 1818) liefert Al Mansour mit „Mary Shelley“ genau den richtigen Film zum richtigen Zeitpunkt. Ein Mix aus Emanzipations- und Geschichtsdrama, der nur zu gut ins Jahr 2018 passt, in dem hitzig geführte Gender-Debatten und virale Bewegungen („metoo“) die Stellung der Frau in der Gesellschaft und patriarchale Strukturen so stark hinterfragen wie lange nicht. „Mary Shelley“ zeigt, dass die junge, begabte Autorin massiv all jenen Vorurteilen und Ressentiments ausgesetzt war, wie sie heute noch in den Köpfen vieler Menschen (vor allem in der islamischen Welt) existieren.
Shelley bekommt an den Kopf geworfen, dass Frauen doch weit davon entfernt seien, eigene Ideale zu entwickeln. Zudem sei sie mit ihren 18 Jahren ohnehin viel zu jung, nach Dingen wie Freiheit oder Eigenständigkeit zu streben. Ein Verleger lässt in einer Szene subtil durchscheinen, dass er Shelleys „Frankenstein“-Buch in Wahrheit für die Arbeit ihres Lebensgefährten hält. Sie lebt inmitten einer engstirnigen, frauenfeindlichen Gesellschaft (Hass schlägt ihr auch wegen ihrer Beziehung mit dem verheirateten Percy entgegen), dies macht der Film unmissverständlich klar. Und er zeigt die intelligente Frau als resolute, mutige Kämpferin für ihre Rechte, die ihrer Zeit um Jahre voraus war.
Diese Entschlossenheit verkörpert Elle Fanning mit hoher Glaubwürdigkeit. Sie zollt ihrer Figur Respekt, in dem sie Shelley unmittelbar als selbstbewusste, untadelige Frau darstellt, die ihrem Hang zu düsteren Geschichten und morbiden Themen wie Reanimation frönt – und sich auch ganz offen zu ihren Interessensgebieten und Leidenschaften bekennt. Darüber hinaus profitiert der Film von den weiteren vielschichtigen, ambivalenten und deshalb höchst interessanten Figuren. Da wäre etwa der extravagante Lebemann Byron, der als Paradebeispiel eines exaltierten Poeten und exzentrischen Barock-Künstlers dient. Oder Marys große Liebe Percy, der in Sachen geistiger Reife und Verantwortungsbewusstsein seiner Freundin (und ab 1818 auch Frau) bei weitem nicht das Wasser reichen konnte. Dennoch erwies auch er sich in gewisser Weise als Vorreiter eines heute als Polyamorie bekannten und gesellschaftlich fast schon akzeptierten zwischenmenschlichen (Liebes-) Lebensmodells: Percy war ein Befürworter offener Beziehungen und der freien Liebe, was ihm gesellschaftliche Ächtung brachte.
Zuletzt überzeugt „Mary Shelley“ durch seine üppigen Dekors, die prächtigen Kostüme, die authentischen Kulissen und Requisiten sowie die atmosphärischen Schauplätze, die ideal gewählt sind und gut zu den anderen Hauptthemen des Films (Horror- bzw. Schauerliteratur sowie die – künftigen – Möglichkeiten von Medizin und Wissenschaft) passen: etwa Friedhöfe, öffentliche Galvanisierungs-Shows, Bibliotheken, Hörsäle. Die bedrückend-gräuliche Gothic-Optik des Films passt sich alledem wunderbar an.
Fazit: In prunkvollen Dekors schwelgendes, realistisches und mit brillanten Darstellern gespicktes Biopic einer tapferen Frau, die als leuchtendes Beispiel historischer Emanzipation gelten darf.
Bewertung: 9/10
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.