Clint Eastwood eine Filmlegende zu nennen, wäre eine Untertreibung. Sowohl als Schauspieler, wie auch als Regisseur verbuchte er Welterfolge. Zudem komponierte der Jazz-Fan Filmmusik und war kurzzeitig Bürgermeister seiner kalifornischen Heimatstadt Carmel. Anstatt jedoch kürzer zu treten oder sich in den verdienten Ruhestand zu verabschieden, produziert er noch im hohen Alter Filme, die mehrheitlich Kritikerlob einheimsen und die Massen ins Kino locken.
Mit „Gran Torino“ feiert der durch „Spaghetti-Western“ populär gewordene Stoiker erneut einen grandiosen Kassenerfolg. Zu Recht? Wir werden sehen. Doch Obacht: Hier wird scharf mit Worthülsen, statt Blauen Bohnen geschossen!
Clint Eastwood eine Filmlegende zu nennen, wäre eine Untertreibung. Sowohl als Schauspieler, wie auch als Regisseur verbuchte er Welterfolge. Zudem komponierte der Jazz-Fan Filmmusik und war kurzzeitig Bürgermeister seiner kalifornischen Heimatstadt Carmel. Anstatt jedoch kürzer zu treten oder sich in den verdienten Ruhestand zu verabschieden, produziert er noch im hohen Alter Filme, die mehrheitlich Kritikerlob einheimsen und die Massen ins Kino locken.
Mit „Gran Torino“ feiert der durch „Spaghetti-Western“ populär gewordene Stoiker erneut einen grandiosen Kassenerfolg. Zu Recht? Wir werden sehen. Doch Obacht: Hier wird scharf mit Worthülsen, statt Blauen Bohnen geschossen!
Zeitreisender wider Willen
Walt Kowalski (Clint Eastwood) muss hilflos mit ansehen, wie die Welt um ihn herum völlig auseinanderbricht. Seine amerikanischen Nachbarn haben längst die kleine Vorstadtsiedlung verlassen, die von asiatischen Einwanderern geprägt ist, kaum jemand fährt noch einen Wagen seines ehemaligen Arbeitgebers Ford, und beim Begräbnis seiner Frau hält Vater Janovich (Christopher Carle) eine aus seiner Sicht unwürdige Rede. Auch zu seiner eigenen Familie findet er keinen Zugang mehr, die ihn für einen verbitterten, alten Mann hält, der möglichst rasch in einem Altenheim untergebracht werden sollte.
Dennoch hält Walt unverrückbar an seiner Weltsicht und seinen Vorstellungen von Moral und Anstand fest, was sich etwa in der Ablehnung moderner Kleiderstile widerspiegelt. Zu seinen aus Asien stammenden Nachbarn pflegt er eine unverhohlen ablehnende Beziehung, bis der junge Thao (Bee Vang) versucht, Walts ganzen Stolz, titelspendender Gran Torino, zu stehlen, um die Mitglieder einer Gang zu beeindrucken. Walt kann dies in letzter Sekunde verhindern und steht plötzlich im Mittelpunkt des Interesses seiner Nachbarn, die ihn für einen Helden halten und ihm allerlei Geschenke machen.
Als er dann auch noch von der resoluten Nachbarstochter Sue (Ahney Her) zu einer Familienfeier eingeladen wird, beginnt er langsam seine Ansichten zu überdenken und wird in weiterer Folge sogar zu einem väterlichen Mentor des reuigen, eigentlich introvertierten Thao, der die Gang-Kultur hasst. Nach einem Racheakt der Gang versucht Walt, die Dinge auf seine Weise zu regeln – nicht wissend, welchen Keim der Gewalt er damit gesät hat …
Stupid White Man?
Mit „Gran Torino“ setzt Clint Eastwood seinem filmischen Alter Ego ein Denkmal: Nie zuvor war er mürrischer und verbitterter zu sehen. Sein Walt Kowalski ist eine Art „Dirty Harry“ in Pension: Völlig ablehnend den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte gegenüberstehend, verschlossen und bereit, seine Freiheit und sein Eigentum mit der Waffe in der Hand zu verteidigen.
Die offenen rassistischen Äußerungen sorgten naturgemäß für heftige Debatten, wiewohl diese durch den Film selbst relativiert werden: Walt geht es nicht um die Durchsetzung eines verrückten Weltbilds, in dessen Mittelpunkt Vertreter seiner eigenen Hautfarbe oder Herkunft stehen, sondern um liebevolle Sticheleien gegenüber seinen Mitmenschen. So wird auch sein italienischer Friseur und Freund „Opfer“ beleidigender Äußerungen, die dieser jedoch wie bei einem Tennisspiel retourniert.
Vor allem im Umgang mit Thao wird deutlich, dass sich hinter der harten Schale ein weicher Kern verbirgt. Dabei erliegt der Regisseur Eastwood an keiner Stelle der Versuchung, seinen von ihm selbst verkörperten Protagonisten zu verklären oder gar zu glorifizieren. Walt ist einfach ein im Grunde seines Herzens netter alter Mann, der wie ein Relikt aus einer längst versunkenen Zeit wirkt und mit den Wirrungen der Moderne in Konflikt gerät.
„Do you feel lucky, Punk?“
Verblüffend ist dabei, wie sehr Walt in die Nähe des berühmten „Dirty Harry“ Callahan gerückt wird. Gerade in den drastischen Szenen des Films fühlt man sich unwillkürlich an den längst in den cineastischen Ruhestand getretenen Detective erinnert. Dies kumuliert in einer Schlussszene, die wie ein bitterer Abgesang an einen der beliebtesten Filmhelden wirkt. Tatsächlich ließ Eastwood anklingen, nie mehr vor der Kamera aufzutreten und sich auf die Arbeit im Hintergrund zu konzentrieren.
Und dennoch: Bei allen Ähnlichkeiten liegen Welten zwischen den innerlichen Zerrissenheiten Callahans und Kowalskis. Während sich Callahan als einer der letzten Hüter von Recht und Ordnung sieht, weiß Kowalski, dass „seine“ Zeit längst der Vergangenheit angehört. Nach dem Tod seiner Frau ist es einzig und allein der Gran Torino, der ihn an das erinnert, was er war, nämlich Teil einer Gesellschaft, die völlig andere Wertvorstellungen hatte, als es in der Gegenwart der Fall ist.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Auf den ersten Blick mag „Gran Torino“ lediglich die Reprise ähnlich gelagerter Filme bieten: Alter Mann kommt mit der Gegenwart nicht mehr zurecht und findet dank junger Menschen wenigstens kurzfristig wieder so etwas wie einen Lebenssinn, dem er sich verschreiben kann. Doch Eastwood gelingt es – wieder einmal! – einer Filmfigur jene feinen Nuancen einzuhauchen, die sie einzigartig und auf oft widersprüchliche Weise liebenswert zu machen.
Zudem erliegt der Kalifornier nicht der Versuchung, dem Zuschauer eine Art modernes Märchen aufzubinden, wie etwa die wundersame innere Wandlung von Bösewichten hin zum Guten, oder simple Lösungen komplexer Probleme. Ganz im Gegenteil: Walt, der seinem Schützling Thao helfen möchte, ist letztendlich für drastische Gewalttätigkeiten verantwortlich, die er ausgelöst hat. Sprich: In seltener Klarheit zeigt Eastwood, dass Gewalt reaktionären Prinzipien gehorcht und wiederum Gewalt erzeugt.
Zugegebenermaßen ist das Drehbuch mit allerlei Klischees gespickt, die die Vorurteile des Betrachters lediglich bestätigen: Gangmitglieder werden als per se hinterhältig und asozial gezeichnet, die nur eine Sprache verstehen, nämlich jene des größeren Knüppels. Reichlich überflüssig erscheint die Figur des Vater Janovich (Christopher Carley), einem geradezu klassischen „Weichei“ christlicher Prägung, dessen einzige Funktion darin zu liegen scheint, die (marginale) Katharsis des Protagonisten wenn schon nicht zu bewirken, so doch wenigstens abzusegnen.
Eingedenk dieser kleinen Schwächen ist „Gran Torino“ ein über weite Strecken hinweg stiller Film, der dennoch all die lärmenden Blockbuster der letzten Zeit um Längen überragt. Eastwood präsentiert sich wieder einmal als bestechender Beobachter dessen, was uns Menschen ausmacht, und gießt das Endresultat in eine filmische Form, vor der man nur respektvoll den Hut ziehen kann.
Wie dieser Mann es schafft, über Jahre hinweg – von einigen Patzern abgesehen – einen Geniestreich nach dem anderen zu produzieren, ist ein Rätsel, das er uns hoffentlich noch lange aufgeben wird.
Darsteller
- Clint Eastwood … Walt Kowalski
- Bee Vang … Thao Vang Lor
- Ahney Her … Sue Lor
- Christopher Carley … Vater Janovich
- John Carroll Lynch … Friseur Martin
- Brian Haley … Mitch Kowalski
- Geraldine Hughes … Karen Kowalski
- Brian Howe … Steve Kowalski
Regie
Clint Eastwood
Produktionsland, Jahr
USA, 2008
Gran Torino Trailer