Kaum ein anderer Film spaltete die Kritiker entschiedener, als der 1971 unter der gewohnt kompetenten Regie von Don Siegel produzierte Cop-Thriller „Dirty Harry“. Die ausgerechnet in San Francisco, der heimlichen Hauptstadt der Hippie-Kultur, ausgetragene Jagd eines konservativen Polizisten auf einen Serienkiller polarisierte. Bis heute gilt jener Streifen, mit dem Clint Eastwood endgütig zum Superstar avancierte, vielen als unerträglich zynisches, faschistoides Machwerk, das zu Intoleranz und Selbstjustiz aufruft.
Ob dieser Ruf gerechtfertigt ist oder nicht, wird Filminspektor „Dirty Rainer“ gewohnt sanftmütig und in Einklang mit den Gesetzen des Universums ergründen.
Kein „Sommer der Liebe“
Geradezu hilflos stehen San Franciscos Behörden dem Treiben eines erbarmungslosen Killers (Andrew Robinson) gegenüber, der keine Spuren hinterlässt und wie ein Phantom zuschlägt und wieder verschwindet. Nach mehreren Morden sendet der Killer, der sich „Scorpio“ nennt, eine Botschaft an die Polizei: Gegen eine Zahlung von $ 100.000 in bar wird er sein blutiges Handwerk einstellen.
Der Bürgermeister (John Vernon) der Stadt entschließt sich, Inspektor Callahan (Clint Eastwood) und dessen neuen Partner Gonzales (Reni Santoni) mit der heiklen Lösegeldübergabe zu beauftragen. Die Aktion endet in der Verfolgung des Killers, der von Callahan gestellt und gefoltert wird, um ihm zu verraten, wo er sein letztes Opfer versteckt hält. Tatsächlich gelingt es Callahan zwar die Informationen herauszuquetschen, doch das Opfer, ein junges Mädchen, ist nicht mehr am Leben.
Zu allem Überfluss muss die Polizei auf Grund von Callahans ungesetzlichen Ermittlungsmethoden den Killer laufen lassen. Und dieser denkt nicht daran, sich von „Dirty Harry“ einschüchtern zu lassen. Im Gegenteil: Der mit allen Wassern gewaschene „Scorpio“ setzt zu neuen Untaten an …
„Do I feel lucky? Well, do ya, punk?“ (Harry Callahan)
Auf seine formale Ebene reduziert, stellt „Dirty Harry“ die Geburtsstunde unzähliger, ähnlich gestrickter Cop-Thriller dar: Ein mitunter außerhalb der Gesetze agierender Polizeibeamter liefert sich mit einem hochintelligenten Serienkiller ein Duell auf Leben und Tod.
An Don Siegels Regiearbeit gibt es ohnehin nichts zu bekritteln: Seine Darstellung der Stadt als Schauplatz eines Zweikampfes lässt nichts an Eindeutigkeit zu wünschen. Er präsentiert San Francisco völlig nüchtern als Stadt wie jede andere, mit allen Sonnen- und Schattenseiten.
Die Kritik richtete sich deshalb in erster Linie an die Charakterisierungen sowie die Motive und Taten besagter Charaktere. „Dirty Harry“ (der Spitzname leitet sich von Callahans Angewohnheit ab, die „schmutzigen“ Arbeiten zu erledigen) ist nicht einfach ein Polizist, der seine Pflicht erfüllt, sondern vielmehr eine konsequente Weiterführung Eastwood’scher Paraderollen, nämlich jener des wortkargen Einzelgängers, der das Recht in die eigenen Hände nimmt. In „Dirty Harry“ vertauschte Eastwood lediglich seinen Poncho gegen einen Anzug und sein Pferd gegen ein Auto.
Was im Kontext klassischer Western jedoch als „legitim“ betrachtet oder zumindest geduldet wurde, stieß in „Dirty Harry“ auf harsche Kritik. Denn ein Polizist, der sich um keine Bürgerrechte schert, ja, sogar zu Foltermethoden greift, musste zwangsläufig für Empörung sorgen. Wer, wenn nicht ein Beamter, sollte schließlich als Symbol für die Einhaltung von Gesetz und Ordnung stehen? Dass ausgerechnet ein Polizeibeamter sich de facto auf eine Ebene mit dem Killer stellt, war und ist ein Affront gegen ungeschriebene Filmgesetze.
Dabei lässt Siegel seinen Anti-Helden nicht einmal eine Wandlung durchleben, die einen anständigen Menschen in einen eiskalten Zyniker transformiert: Es ist nicht Rache oder erlittenes Unrecht, das Callahan antreibt, sondern ein geradezu simples Verständnis für das, was er als „richtig“ ansieht. Dies wird bereits nach wenigen Filmminuten erkennbar, wenn Callahan zufällig Zeuge eines Banküberfalls wird, die Gangster nach der Reihe über den Haufen schießt, seinen geradezu legendären „Do ya, punk?“-Dialog vom Stapel lässt und dem einzigen überlebenden Verbrecher kalt lächelnd mit dem Erschießen droht.
Der schmale Grat zwischen Gut und Böse
Was „Dirty Harry“ von bis dato produzierten Cop-Thrillern entscheidend unterschied, war die extrem dünne Linie zwischen dem, was man als Gut und Böse bezeichnet. Zwar vermeidet Siegel dankenswerter darauf, dem Killer eine schmalpsychologische Sympathie entgegenzubringen, weigert sich andererseits jedoch, Callahan die Rolle des Helden zuzuweisen, wie man es von solchen Filmen gewohnt war.
Tatsächlich existiert mehr, das „Scorpio“ (übrigens in Anlehnung an den nie gefassten „Zodiac Killer“ benannt) und „Dirty Harry“ verbindet, als es trennende Elemente gibt. Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass es die Polizeimarke ist, die den Unterschied zwischen dem Cop einerseits und dem Killer andererseits ausmacht. In einem symbolischen Akt gegen Ende des Films hebt Callahan sogar diesen marginalen Unterschied auf.
Eine herkömmliche Charakterisierung erfährt keine der Figuren, was zu Siegels pessimistischer Weltsicht (siehe auch seine Meisterwerke „Die Dämonischen“ sowie „Flucht von Alcatraz“) passt und durchaus Sinn ergibt. Immerhin geht es weder um moralische Rechtfertigung, noch um eine innere Wandlung der Protagonisten. Nur in einer kurzen Szene gestattet Siegel einen näheren Blick auf Callahan, nämlich, als er den Tod seiner Frau thematisiert. Doch wenige Sekunden später ist Callahan wieder ganz schweigsamer Zyniker. Das Moment der Läuterung oder Vergebung ist Siegel auch in diesem Film fremd.
Am Gipfel der Popularität
Mit „Dirty Harry“ erklomm Eastwood die Gipfel der Popularität. Ungeachtet der empörten Kritiken und Schmähungen geriet der Film zum Kassenschlager und generierte nicht weniger als vier solide Fortsetzungen, die gleichfalls zu grandiosen Erfolgen wurden. Die Figur des „Dirty Harry“ wurde überdies hinaus zu einer weltweiten Ikone, vergleichbar einem „Rambo“ oder „Indiana Jones“.
Doch nicht nur Eastwood, der von Don Siegel das Handwerk der Regie erlernte und in späteren Jahren als Regisseur ebenso berühmt und anerkannt wurde wie als Schauspieler, sondern auch sein Konterpart zeigt eine ungewöhnlich intensive Darstellerkunst. Andrew Robinson – übrigens nicht verwandt mit dem grandiosen Edward G. Robinson (am bekanntesten vermutlich durch seine Rolle in „Soylent Green“) – überzeugt als „Scorpio“ auf ganzer Linie. Seiner Figur wird keinerlei biographischer Hintergrund gestattet; der Killer agiert aus einem animalischen Lustgefühl heraus, für das es weder eine Berechtigung, noch eine Erklärung gibt.
Den übrigen Figuren kommt nur untergeordnete Bedeutung zu, wobei diese Rollen von routinierten Schauspielern übernommen und souverän getragen werden.
Erwähnenswert ist auch der von Lalo Schifrin komponierte Soundtrack, der sich hervorragend den jeweiligen Szenen anpasst und somit entscheidend zur kühlen Atmosphäre des Filmes beiträgt.
„Dirty Harry“ ist gewiss kein Film, der es dem Zuschauer leicht macht, seine Sympathien oder Antipathien zu verteilen. Er ist zynisch, kalt, distanziert. Gerade dadurch lädt er aber dazu ein, nachzudenken über allzu simple Schemata, die uns im Alltag umgeben. Das Leben ist nicht gänzlich Schwarz oder Weiß, sondern besteht aus Grautönen. Dass uns diese Botschaft mittels eines spannenden, mit grimmigem Humor unterlegten Filmes unaufdringlich näher gebracht wird, ist vor allem Verdienst des Regie-Altmeisters Don Siegel.
Wer „Dirty Harry“ – vielleicht sogar auf Grund der Vorwürfe gegen ihn – noch nicht gesehen hat, sollte dies unbedingt nachholen!
Darsteller
- Clint Eastwood … Harry Callahan
- Andrew Robinson … Scorpio
- Reni Santoni … Insp. Chico Gonzales
- Harry Guardino … Lt. Al Bressler
- John Vernon … Bürgermeister
- John Larch … Chief
Regie
Don Siegel
Produktionsland, Jahr
USA 1971
Dirty Harry Trailer