Seltsamerweise fühlt der schwerreiche Investmentbanker Davis Mitchell (Jake Gyllenhaal) keinen Schmerz, nachdem er den Unfalltod seiner Frau hautnah mit ansehen musste. Davis saß direkt neben ihr, bekam aber nicht einen einzigen Kratzer ab. Er kommt nicht damit klar, dass ihn der Verlust der Ehefrau kaum berührt, weshalb er versucht, seine (kaum vorhandenen) Gefühle und Gedanken in einen Brief zu packen. Den Brief schickt er an die Betreiber-Firma eines Süßigkeiten-Automaten, aus dem er sich kurz nach Julias Tod in der Klinik etwas ziehen wollte. Die Briefe erhält die Kundendienstmitarbeiterin Karen Moreno (Naomi Watts), die von der entwaffnenden Offenheit und Ehrlichkeit des Absenders derart beeindruckend ist, dass sie Davis eines Nachts anruft. Der sich häufende Kontakt mit Karen, die noch einen jugendlichen Sohn (Judah Lewis) hat, und die Briefe, die Davis weiterhin schreibt, sorgen dafür, dass er allmählich wieder Boden unter den Füßen gewinnt. Doch bevor er ein neues Leben beginnen kann, scheint er erst sein altes Dasein komplett hinter sich lassen, ja regelrecht „demolieren“, zu müssen.
Jake Gyllenhaal scheint mittlerweile fast abonniert auf die Rolle des trauernden Hinterbliebenen, den der Verlust eines geliebten Menschen völlig aus der Bahn wirft. Ähnliche Rollen wie in „Demolition“ spielte er bereits in „Moonlight Mile“ (2002) und dem Boxer-Drama „Southpaw“ vom letzten Jahr. Inszeniert wurde „Demolition“, der im Herbst 2014 in den USA gedreht sowie in und rund um New York gedreht wurde, vom Kanadier Jean-Marc Vallée. Vallée gehörte in den letzten Jahren zu den von der Kritik und von Filmexperten gefeiertsten Filmemachern der Welt. Seine letzten beiden Filme, „Dallas Buyers Club“ und „Der große Trip – Wild“, gelten als Meisterwerke und wurden entweder mit Oscars bedacht (z.B. Jared Leto für seine Rolle in „Dallas Buyers Club) oder erhielten zumindest Nominierungen (Reese Witherspoon für „Der große Trip“).
„Demolition“ ist ganz klar auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten und wird von Jake Gyllenhaal dank einer eindringlichen, an Intensität kaum zu überbietenden Performance getragen – und das in nahezu jeder Sekunde. Denn Gyllenhaal ist in fast jeder Szene, jeder Einstellung des Films zu sehen und steht damit unweigerlich im Zentrum. Auch die Nebendarsteller sind gut gewählt und verkörpern auf gelungene, da glaubhafte Weise tragische Figuren, die nicht selten emotional gebrochene Persönlichkeiten sind. Da ist z.B. Chris Cooper als Davis‘ Schwiegervater, der mit dem Tod seiner Tochter nicht klarkommt oder die sich nach Liebe und Zuneigung sehnende Karen, die dem Selbstzerstörungsdrang des Sohnes (der Filmtitel „Demolition“ kommt nicht von ungefähr), nichts entgegenzusetzen hat.
Trotz der bärenstarken Leistung von Gyllenhaal fällt es einem beim Zuschauen jedoch schwer, sich in diesen oft unsympathisch und unterkühlt daherkommenden Protagonisten hineinzudenken bzw. -versetzen. Dies ist aber nicht Gyllenhaal sondern freilich einzig dem Drehbruch anzukreiden. Davis‘ fast schon perverser Drang, alles Irdische – seien es Gegenstände, Besitztümer oder zwischenmenschliche Beziehungen – rigoros zu vernichten, ist für den Zuschauer schwer zu verdauen, nicht leicht nachvollziehbar und auf Dauer schlicht ermüdend. Nicht nur einmal muss z.B. die teure Wohnungseinrichtung daher seine ungezügelten Wutausbrüche ausbaden. Versteht man diese Prozesse und Verhaltensweisen aber als den Versuch des „Reinigens“, der kompletten Zerstörung des alten Seins um mit etwas Neuem im Leben anfangen zu können, wird das Geschehen auf der Leinwand plötzlich nachvollziehbarer. An einer Stelle des Films bemüht Davis‘ Schwiegervater den Vergleich mit einem Auto um klar zu machen, dass es sich mit dem Herzen, wenn man einen schweren Verlust zu verkraften hat, ähnlich verhält: man müsse beides erst auseinanderbauen bzw. vollständig auseinandernehmen, um es neu zusammensetzen zu können.
Gelungen ist, dass der Film zwischendurch kurze Erinnerungsfetzen an die Verstorbene aufblitzen lässt: in Form von kurzen Einblendungen, oft nur eine Sekunde lang, erscheint diese dann auf der Leinwand – bis sie scheinbar ganz zu verschwimmen droht. Ein Zeichen der verblassenden Erinnerung von Davis an sie? Damit ruft Regisseur Vallée in jedem Fall die zu Tode gekommene Frau dem Zuschauer – und auch Davis selbst – zunächst immer wieder ins Gedächtnis. Weniger gelungen hingegen ist, dass der Film viel zu abrupt und dann überraschend schnell endet. Ließ er sich doch mit den immer gleichen (oder zumindest ähnlichen) Zerstörungsorgien von Davis im Vorfeld, reichlich Zeit.
Fazit: Trotz eines überragenden Hauptdarstellers und einiger gelungener Regie-Einfälle, ist das dialogreiche Drama ein zwiespältiges Vergnügen: geschuldet ist dies dem sperrigen, unsympathischen Charakter der Hauptfigur und der Redundanz der Wut- und unkontrollierten Gefühlsausbrüche.
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.