Stronger Kritik

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April 2013: Terroristen verüben einen Anschlag auf den berühmten Boston Marathon. Drei Menschen sterben, über 260 werden schwer verletzt. Mittendrin befand sich auch Jeff Bauman (Jake Gyllenhaal), der seine Ex-Freundin Erin Hurley (Tatiana Maslany) an der Ziellinie anfeuern wollte. Durch die Detonation eines Sprengsatzes in seiner Nähe, verliert er beide Beine. Er überlebt das Attentat und hilft der Polizei – da er einen der Terroristen identifizieren kann – wenig später sogar noch bei der Aufklärung. Doch Jeffs eigentlicher Kampf beginnt mit der Zeit nach der Entlassung aus der Klinik. In dem Gewissen, künftig ein Leben im Rollstuhl führen zu müssen, stehen dem 27-Jährigen schwere Monate anstrengendster Reha-Maßnahmen bevor. Hinzu kommt, dass er von den Medien zum Helden stilisiert wird. Doch Jeff selbst glaubt nicht an das Bild, dass die Öffentlichkeit von ihm hat.

„Stronger“ beruht auf der gleichnamigen Biografie von Jeff Bauman, die 2014 veröffentlicht wurde. Der Hauptdarsteller des Films, Jake Gyllenhaal, verbrachte im Vorfeld der Dreharbeiten viele Monate mit Bauman und seiner Familie, um Einblicke in das persönliche Umfeld und Eindrücke aus dem Alltag zu erhalten. Inszeniert wurde „Stronger“ von Regisseuer und Drehbuchautor David Gordin Green, dessen letzte Filme ebenfalls dramatische Stoffe behandelten: „Die Wahlkämpferin“ (2015) mit Sandra Bullock und „Goat“ (2016) mit James Franco. „Stronger“ kostete 30 Millionen US-Dollar und wurde auf dem letztjährigen Toronto Film Festival uraufgeführt.


Regisseur Green bringt in seinem inspirierenden, nachhaltigen Drama auf gelungene Weise zwei thematische Schwerpunkte zusammen: zum einen Jeffs kraftraubende Rehabilitation, in deren Verlauf dieser langsam zurück ins Leben findet. Und: seine unfreiwillige Stilisierung zu einem Symbol für Kraft und Durchhaltewillen. Die zwei inhaltlichen Bezüge gehen hier Hand in Hand, denn in beiden Fällen wird Jeff zum Opfer. Zunächst das Opfer eines bestialischen Anschlags, der ihm nicht nur beide Beine sondern – so scheint es zu Beginn – auch jeglichen Lebensmut kostet. Und dann werden er und seine tragische Geschichte nicht zuletzt noch von den Medien sowie der in den USA so stark ausgeprägten Celebrity-Kultur ausgeschlachtet und benutzt, um den Bewohnern Bostons eine Symbolfigur zu verschaffen. Jeff kämpft also gleich an zwei Fronten.

Es ist einer der großen Pluspunkte des Films, dass sich Green stark auf eben jenen zweiten Aspekt, das unfreiwillige Heldentum, konzentriert. Inklusive aller widersprüchlicher Emotionen und ambivalenter Empfindungen, die bei Jeff damit einhergehen. Denn er leidet darunter, dass viele Bewohner ihn als großen Helden verehren. Ihn, der sich selbst – zunächst – als bemitleidenswerten, armseligen Krüppel ansieht. Und der nicht nachvollziehen kann, wieso seine hübsche Freundin überhaupt bei ihm bleibt. Jeffs innere Zerrissenheit und seinen Unmut darüber, in voll besetzten Stadien die US-Flagge schwenken und dabei stark und unerschütterlich aussehen zu müssen, vermag kaum jemand so eindringlich darzustellen wie Jake Gyllenhaal. Ein Blick in sein leidendes Gesicht genügt um klar zu machen: da wird ein Mann als ein Vorbild zweckentfremdet, das er nicht sein will.

Gyllenhaal wird mit jeder Faser seines Körpers zu Jeff Bauman und legt mit all seiner darstellerischen Kraft die unterschiedlichen Facetten von Jeffs fragilem Gefühlsleben offen. Ein Gefühlsleben, das zwischen Hoffnung und Weltschmerz, zwischen Zuversicht und Todessehnsucht schwankt. Als emotional gewichtig bleibt z.B. jener Momente in Erinnerung, in dem Jeff zum ersten Mal mit eigenen Augen erblickt, was mit seinem Körper passiert ist. Wie glaubhaft und nachdrücklich Gyllenhaal Jeffs tiefe Verzweiflung in dieser Szene darstellt, ist beeindruckend und schwer zu verdauen. Ähnliche, auch für den Zuschauer markerschütternde Zusammenbrüche erleidet Jeff im weiteren Verlauf des Films noch häufiger, etwa beim Baden oder während einer Reha-Maßnahme.

Aber ebenfalls die Augenblicke, in denen Optimismus und Zuversicht vorherrschen, sind von Gyllenhaals authentischer Darbietung geprägt. Etwa wenn Jeff, auch dank der Unterstützung seiner Freundin, langsam wieder Freude an alltäglichen Dingen findet: dem Lesen eines Buches, dem Gitarre spielen oder dem Herumalbern. Der Film funktioniert darüber hinaus nicht zuletzt aufgrund des einnehmenden, perfekt harmonierenden Zusammenspiels zwischen Gyllenhaal und Tatiana Maslany so gut. Kraftvoll und ungeschönt agiert Maslany auf der Leinwand als leidende Freundin, die sich die Schuld am Unglück des Freundes gibt. Aber ebenso als Freundin, die mit ihm gemeinsam langsam die Freude am Leben zurückgewinnt.

Gut ist zudem, dass sich Green ganz am Anfang die Zeit nimmt, um die Hauptfigur und sein Lebensumfeld einzuführen. Und dem Zuschauer damit ein realistisches Bild vom einfachen Milieu, aus dem Jeff stammt, zu vermitteln: er wohnt noch bei der (alkoholkranken) Mutter, arbeitet in einem Feinkostgeschäft hinter der Theke und hängt oft in seiner Stammkneipe ab. Ganz ohne Kitsch und Pathos kommt „Stronger“ am Ende zwar dann doch nicht aus, dies lässt sich aufgrund der brillanten Darsteller jedoch verschmerzen.

Fazit: „Stronger“ ist das ermutigende, tief berührende Porträt eines bewundernswerten Anti-Helden, das von seinem kraftvoll agierenden Cast und der genauen Milieu-Zeichnung lebt.


Bewertung 9/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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