Der verlorene Sohn Kritik

Der verlorene Sohn Kritik

Garrard Conley (Lucas Hedges) wächst in einem streng gläubigen Haushalt im Bible Belt Amerikas auf. Sein Vater ist der erzkonservative Baptistenprediger Marshall (Russell Crowe) und auch Mutter Nancy (Nicole Kidman) hat ihr Leben Gott gewidmet. Als die Eltern erfahren, dass sich Garrard zu Männern hingezogen fühlt, ist das ein Schock für seine Eltern – und die Homosexualität des Sohnes absolut nicht hinnehmbar. Deshalb zwingen sie Garrard zu einer Konversionstherapie. Im Camp der Organisation „Love in Action“, die vom resoluten und herrischen Victor Skyes (Joel Edgerton) geleitet wird, soll Garrard von seiner „Krankheit“ geheilt werden. Im Laufe der Zeit erkennt Garrard, dass er seine Neigungen nicht unterdrücken kann und sie außerdem nicht unnormal ist. Er muss sich entscheiden: Lebt er seine Sexualität, ist das Verhältnis zum Vater zerstört.

„Der verlorene Sohn“ beruht auf den vom echten Garrard Conley veröffentlichten Memoiren, die 2016 veröffentlicht wurden. Im letzten Jahr erschien das Buch auch hierzulande in deutscher Sprache. Die Dreharbeiten für die Verfilmung begannen im Herbst 2017 in Atlanta. Regie führte Joel Edgerton, der einem breiten Publikum vor allem als Schauspieler („The Thing“, „Black Mass“), bekannt ist. Nach „The Gift“ ist „Der verlorene Sohn“ seine zweite Regiearbeit. Weltpremiere feierte „Der verlorene Sohn“ im September 2018 beim Telluride Film Festival im US-Bundesstaat Colorado.


„Der verlorene Sohn“ klagt ein in den USA durchaus nicht selten angewandtes Verfahren an, das sich gerade bei klerikalen Hardlinern großer Beliebtheit erfreut. Es wird genutzt, um gegen Homosexualität vor allem bei jungen Männern vorzugehen. Die Rede ist von der berüchtigten Konversions- bzw. Reorientierungstherapie, der in den USA bis heute fast eine Million junge Menschen unterzogen wurden. Dass der Film auf diese perversen Therapiemethoden, die in manchen Bundesstaaten bis heute nicht verboten sind, aufmerksam macht, ist ein großes Verdienst. Fast noch beachtlicher aber ist, dass er dies ohne erhobenen Zeigefinger oder allzu reißerische Elemente tut.

Vielmehr streut Regisseur Edgerton, der die ambivalente Figur des Viktor Skyes als weltfremden, zutiefst reaktionären und letztlich doch arg bemitleidenswerten Zeitgenossen verkörpert, seine Kritik an den Umerziehungscamps mit Bedacht und sehr subtil ein. Vor allem deshalb, da Skyes und seine fundamentalistischen Mitarbeiter eben nicht als fiese, bösartige Antagonisten auftreten, sondern selbst nur Opfer eines rückständigen Umfelds und einer ultrakonservativen Erziehung mit steinzeitlichen Ansichten sind. Insofern fordert „Der verlorene Sohn“ auch dazu auf, sich allgemein kritisch mit den antiquierten, alles andere als zeitgemäßen Glaubenssätzen und Denkweisen der Baptisten auseinanderzusetzen – immerhin eine der größten protestantischen Bekenntnisgemeinschaften Nordamerikas.

Auch wenn sich Edgerton – zum Glück – nicht auf Voyeurismus und billiges, auf Sensation ausgelegtes Gehabe einlässt, so gewährt er dem Zuschauer doch einen intensiven Einblick in einige der höchst bizarr anmutenden Therapieverfahren. Diese verlangen vom Zuschauer Durchhaltevermögen und emotionale Stärke, ist es mitunter doch nur schwer mit anzusehen, mit welch kruden „Spielchen“ und Übungen hier versucht wird, die jungen Menschen zu brechen. Man will erreichen, dass sie sich ihrer Selbst schämen.

„Der verlorene Sohn“ profitiert darüber hinaus von einem fabelhaften Cast, dem es gelingt, die inneren Seelenqualen der Figuren plausibel nach außen zu kehren. Denn auch wenn Garrards Eltern ihn in Umerziehungscamps stecken und ihn zwingen, gegen die eigene Persönlichkeit anzugehen und seine Neigungen zu bekämpfen: Die Eltern leiden auch selbst. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der eigenen unumstößlichen, fest verankerten Denkweise, den starren religiösen Prinzipien auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite steht die große Angst, ihren Sohn, den sie trotz allem lieben, für immer zu verlieren. Diese emotionale Ambivalenz spielen Nicole Kidman und Russel Crowe derart glaubhaft und nachdrücklich, dass es einem den Atem raubt. Und Hauptdarsteller Lucas Hedges als verletzlicher Jugendlicher zwischen unterdrückten Gefühlen, Wut, Angst, Hass und Selbstzweifeln, ist ohnehin eine Wucht – und absolut Oscar-würdig.

Fazit: Eindringliches und herausragend gespieltes Drama über restaurative Ansichten und überholte religiöse Weltanschauungen, das auf einer beklemmenden autobiografischen Erzählung beruht.


Bewertung: 9/10

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

Das könnte dir auch gefallen:

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.