Alles was kommt Kritik

Alles was kommt Kritik

Die intellektuelle Nathalie (Isabelle Huppert) ist eine gestandene, selbstsichere Frau in ihren späten 50ern, die erfolgreich als Philosophielehrerin arbeitet. Mit ihrem Ehemann und Kollegen Heinz (André Marcon) kann sie sich über Philosophie unterhalten und ihre beiden Kinder hat sie zu selbstbestimmten, klugen Persönlichkeiten erzogen. Nebenbei veröffentlicht sie Texte in einem kleinen Verlag und besucht ab und zu ihre Mutter, die immer vergesslicher wird. Alles läuft in weitestgehend geregelten Bahnen, bis ihr eines Tages der Boden unter den Füßen weggezogen wird: ihr Mann eröffnet ihr, dass er eine andere liebt und sie verlassen will. Hinzu kommt, dass sich ihr Verlag künftig einem jüngeren Publikum zuwenden will und ihm Nathalies Texte daher nicht mehr zielgruppenkonform genug sind. Der einzige Lichtblick in dieser schweren Zeit scheint ihr ehemaliger Student Fabien (Roman Kolinka) zu sein, der ihr vorlebt was es heißt, philosophisches Gedankengut mit neu gewonnener Freiheit zu vereinen.

Die Regisseurin des Films, Mia Hansen-Løve, kann trotz ihrer erst 35 Jahre, bereits auf eine beachtliche Filmografie zurückblicken. „Alles was kommt“ ist bereits ihre siebte Arbeit als Filmschaffende, wobei sie fünf ihrer Werke in den letzten acht Jahren realisierte. Bekannt ist Hansen-Løve dafür, ihre Filme mit wesentlichen (auto- sowie familien-) biografischen Zügen und Elemente auszustatten. So z.B. ihr Film „Eine Jugendliebe“ von 2011 oder der Musikfilm „Eden“ (2014), der Erfahrungen ihres Bruders in der House-Szene im Paris der frühen 90er-Jahre behandelte und filmisch umsetzte. Laut eigener Aussage hatte die Regisseurin schon beim Schreiben des Drehbuchs zu „Alles was kommt“ Isabelle Huppert („8 Frauen“, „Dead Man Down“) im Kopf, eine der erfolgreichsten Schauspielerinnen des französischen Gegenwartskinos. „Alles was kommt“ wurde auf der diesjährigen Berlinale gezeigt, auf der Mia Hansen-Løve den Silbernen Bären für die Beste Regie erhielt.

Zum ersten Mal widmet sich Hansen-Løve, eine der talentiertesten französischen Regisseurinnen überhaupt, der Thematik des Älterwerdens und der damit verbundenen Nöte und Schwierigkeiten. Und das alles aus der Sicht einer gut-bürgerlichen, extrem gebildeten und attraktiven Frau auf der Klippe zur 60, deren Ehe nach einem Vierteljahrhundert der Liebe und des Zusammenhalts, zerbricht. Zuvor waren es zumeist die Themen Liebe sowie emotionale Irrungen und Wirrungen der Jugend oder jungen Erwachsenen, denen sie in ihren Filmen nachspürte. Doch auch das sanfte Beobachten der Gefühlswelt der reifen und lebenserfahrenen Nathalie, die nach einigen Schicksalsschlägen ihr Leben neu zu ordnen versucht, gelingt der jungen Filmemacherin ganz ausgezeichnet.

Auch deshalb, weil sich der Film (und vor allem seine Hauptfigur) nicht in Sentimentalitäten und melancholischer Depression bzw. Trauer-Stimmung verliert, auch nachdem Nathalie der Schock ihres Lebens ereilt: ihr Mann hat eine andere Frau kennengelernt und will mit der neuen Liebe zusammenleben. Zwar hat die Philosophie-Liebhaberin immer auch (verständlicherweise) ihre schwachen und zu Tode betrübten Momente, doch scheint sie aus dem Verlust ihres geliebten Mannes („Und ich dachte, du würdest mich ewig lieben“) doch auch Kraft und eine neue Freiheit zu schöpfen, nach der sie sich so lange gesehnt hat. In vielen Szenen und Momenten stecken daher auch positive Aufbruchsstimmung und lebensbejahende Energie, etwa wenn sie mit Fabien und dessen Akademiker-Gruppe über Philosophisches diskutieren kann. Und allmählich beginnt sie auch, die Ereignisse mit einer gewissen Gelassenheit und einer Art Gleichgültigkeit des Banalen zu sehen.

Nathalie, die gebildete, selbstbewusste Frau mit einem gewaltigen Verständnis für komplexe wissenschaftliche Fragen und philosophische Zusammenhänge, wird für eine jüngere Frau nach einem Vierteljahrhundert Ehe sitzen gelassen. Verlassen werden wegen der attraktiven Jugend und Optik einer anderen Frau? Das kann eigentlich nicht sein und dieser Grund ist an Trivialität nicht zu überbieten. Exakt so sieht und bewertet Nathalie die Situation.

Leidenschaftlich und mit großer emotionaler Kraft agiert hier Isabelle Huppert in einer ihrer stärksten Rollen der jüngeren Vergangenheit. Stark und mutig ist auch die musikalische Untermalung des Gezeigten, die zwischen romantischer Klassik (Schubert) Singer-Songwriter-Magie der 40er- (Woody Guthrie) oder 60er-Jahre (Donovan) und traumwandlerischen Pop-Klassikern (Righteous Brothers) gekonnt hin- und herwechselt.

Fazit: Hochemotionale und aber nie zu sentimentale Tragikomödie mit einer ebenso intensiven wie leidenschaftlichen Hauptdarstellerin und musikalischen Untermalung.

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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