Volt Kritik

Deutschland in naher Zukunft: Flüchtlinge leben in Transitzonen an den Außenrändern des Landes. Dort hausen sie in ärmlichsten Verhältnissen, im Stich gelassen von der Politik und einer herrschenden staatlichen Ordnung. Die Aufgabe der Politik übernimmt die Polizei, die in den überfüllen Lagern zumindest einigermaßen für geordnete Verhältnisse sorgen soll. Darunter auch Polizist Volt (Benno Führmann), für den es bei einem Routineeinsatz zu einem folgenschweren Vorfall kommt: im Eifer des Gefechts, tötet er den Flüchtling Hesham (Tony Harrisson Mpoudja). Doch da es keine Zeugen auf Seiten der Flüchtlinge gibt, bleibt das tragische Ereignis zunächst sein Geheimnis. Doch Volt kommt nicht klar mit der Schuld, die er auf sich geladen hat. Ihn plagen heftige Schuldgefühle. Ablenkung und Trost findet er bei LaBlanche (Ayo), die ausgerechnet die Schwester von Hesham ist. Durch sie bekommt Volt auch einen Einblick in das Leben der Flüchtlinge. Er muss sich entscheiden: stellt er sich der Verantwortung oder gibt er weiterhin den Unschuldigen.

„Volt“ ist das neue Werk des in Homburg geborenen Regisseurs Tarek Ehlail, der vor allem für seine radikalen, wütenden Filme bekannt ist. Sein Durchbruch gelang ihm 2008 mit dem Indie-Werk „Chaostage“, in dem er die Straßenkämpfe im Deutschland der 80er- und 90er-Jahren thematisierte. Ehlail ist ein begnadeter Kampfsportler, der 2003 auch seine eigene Produktionsfirma gründete. Mit „Volt“ greift er Themen auf, die uns fast tagtäglich in den Nachrichten begegnen: Gewalt gegen Polizisten, Korruption, die Flüchtlingskrise, unerträgliche Zustände in den Auffanglagern. „Volt“ hat aber auch starke dystopische Tendenzen, in dem der Film einen Blick in die Zukunft wirft – inklusive der Folgen der Flüchtlingsbewegung. Seine Premiere feierte „Volt“ 2016 auf dem Filmfest München.


Thematisch könnte „Volt“ aktueller kaum sein. Er treibt die Zuspitzung und die sich stetig verschlimmernde Flüchtlingsproblematik dahingehend auf die Spitze, indem er deren (mögliche) Folgen in einem spannenden Gedankenexperiment durchspielt. Ein letztlich fiktionales Gedankenspiel, aber unsere Realität scheint teils gar nicht so weit entfernt von dem im Film Gezeigtem. Optisch ist „Volt“ ein dreckiger, heftiger und teils sehr düsterer Film – und das ist auch wortwörtlich gemeint. Denn weite Teile des Films spielen im Dunkeln oder Halbdunkeln. Zudem ist der Plot in einer finsteren, trost- und hoffnungslosen Welt verortet, die aus den Fugen geraten ist.

Hinzu kommt eine laute, aggressive musikalische Untermalung, die auch für die Wut, den Hass und die Ausweglosigkeit derjenigen Personen steht, die sich bekriegen: die Polizei und die Flüchtlinge. Ehlail entschied sich für einen druckvollen, schweren Industrial-Sound mit wummerndem Bass, um so auch eine unheilvolle Stimmung allgegenwärtiger Bedrohung zu schaffen. Und auch der Umgangston bzw. die Sprache der Figuren untereinander, zeugt vom Verfall der Werte und des Wegbrechens eines menschlichen, sozialen Miteinanders. Es wird geflucht, beleidigt, geschimpft. Schimpfwörter wie „Kanake“, Drecksbulle“ oder „Gesindel“ begegnen einem praktisch minütlich. Optik, Musik und die Radikalität der Dialoge sind daher stimmig und gehen Hand in Hand.

Zu jeder Zeit wird auch das typische Sujet von Ehlail deutlich: eine akribische Milieuzeichnung trifft auf die Erbarmungslosigkeit und Härte der Protagonisten, die Schuld auf sich geladen haben. Leider kann es sich Ehlail nicht verkneifen, das ein oder andere Klischee zu viel zu bedienen, vor allem hinsichtlich Plot und Dramaturgie. Denn natürlich muss sich Volt ausgerechnet in die Schwester seines Opfers verlieben. Eine nicht gerade überraschende Wendung im Film, die einem doch so oft auch in anderen Produktionen begegnet: zwischen dem Schuldigen und einem engen Angehörigen seines Opfers, entstehen Gefühle. Durch LaBlanche werden Volts Gewissensbisse nur noch größer, denn durch sie erlangt er einen intensiven Einblick in das reale Leben in den Transitzonen. Gut ist aber, dass „Volt“ es vermeidet, klar für eine Seite Farbe zu bekennen.

Beide Konfliktparteien – die Polizei als auch die Flüchtlinge – haben Schuld auf sich geladen. Bei den Polizisten gibt es rassistische, aggressive Schlägertypen. Aber innerhalb der Transitzonen geht es auch nicht gerade friedlich und harmonisch zu: es regieren Gewalt, Korruption und Drogenmissbrauch. „Volt“ verschließt sich einer letztendlichen Konklusion und Wertung. Er überlässt es dem Zuschauer das Gesehene einzuordnen. Ein unmittelbarer, dokumentarischer Touch ergibt sich zuletzt auch dadurch, dass Ehlail immer wieder auf die bewährte Handkamera zurückgreift, vor allem bei den „Säuberungsaktionen“ in den Zonen. Diese Szenen ziehen den Zuschauer mitten ins Geschehen und erzeugen eine bedrückende Unmittelbarkeit.

Fazit: Optisch wie soundtechnisch stimmige, raue und teils extrem radikale Milieustudie, die die möglichen Folgen der Flüchtlingskrise weiterspinnt. Einige dramaturgische Schwächen und Klischees im Handlungsverlauf, sind zu verschmerzen.


Bewertung: 4/5

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.

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