Davon war bei Heidi Klums Show nie die Rede: Supermodel wird von Psychopathen auf offener Toilette am helllichten Discoabend entführt und in unterirdisches Verlies gebracht. Was sie dort erwartet, kann der durch „Saw“ & Co. geübte Genrefan an den – falls noch vorhandenen – Fingern abzählen. Und dennoch wartet Roland Joffé. („The Killing Fields“ erster Psychothriller mit einigen Überraschungen auf. Welcher Art diese sind, wird in nachfolgender Kritik erläutert, die nicht von Supermodels unter 40 Jahren gelesen werden sollte.
Mitgehangen, mitgefangen!
Da hat die hübsche Jennifer (Elisha Cuthbert) in der Modelschule wohl nicht aufgepasst: Lediglich in Begleitung ihres Schoßhündchens begibt sie sich in einen Club und ordert einen Drink. Dieser wird von einem Unbekannten mit einem Schlafmittel versüßt, was der Schönen auf der Damentoilette zum Verhängnis wird. Jennifer stolpert benommen auf den Gang hinaus, erblickt eine auf Stativ montierte Kamera und folgt ihrem natürlichen Modelinstinkt: Anstatt sich zurück in den Discosaal zu begeben, schreitet sie grazil auf die Kamera zu. Typischer Anfängerfehler, der mit Einschläferung seitens des Psychopathen bestraft wird.
Als Jennifer wieder erwacht, wähnt sie sich zunächst in einem Hotelzimmer. Doch schon kurze Zeit später bemerkt sie ihren Irrtum: Die beruhigenden Strandbilder waren lediglich Filmprojektionen und der Blumenstrauß auf dem Nachtkästchen ist aus Plastik. Für Jennifer beginnen die grausamen Spielchen ihres Entführers, der sie wiederholt mit Gas oder Injektionen betäubt und sie beispielsweise zwingt, einen immerhin unbehandelten Cocktail aus diversen menschlichen Körperteilen zu trinken.
Trost spendet ihr die Anwesenheit eines Mitgefangenen namens Gary (Daniel Gillies, Cuthberts Schauspielkollege aus „House of Wax“) im Raum nebenan. Die Motive des Entführers bleiben Jennifer indes lange Zeit verborgen. Eine missglückte Flucht später beginnen sich die Puzzleteile zu fügen – allerdings nur scheinbar. Denn der Psychopath spielt ein mehrbödiges Spiel mit der jungen Frau …
Eklektizismus für Einsteiger
Was verdächtig nach „Saw“ klingt, macht keinen Hehl aus der Tatsache, sich munter durch die berühmtesten Genrevertreter des Horrors bzw. Psychothrillers zu buddeln. Beginnend bei der aus „Sieben“ bekannten Titelsequenz bis hin zu den beim Killer von heute beliebten Zellendesign samt unzähliger verborgener Überraschungen, die bis ins kleinste Detail ausgetüftelt sind: „Captivity“ bietet keine einzige originäre Idee. Tatsächlich könnte man sich als Zuschauer einen Spaß daraus machen zu erraten, aus welchem Film welche Szene mehr oder weniger abgekupfert wurde.
Viel mehr an Unterhaltungswert bietet der vermeintliche Psychothriller nicht. Geradezu unspektakulär werden die längst nicht mehr schockierenden Aufnahmen von Folterungen in Szene gesetzt, wobei ein Cocktail aus Augäpfeln, Ohren und Organen einen Höhepunkt der Absurditäten bietet. Wie so vieles andere auch, ergibt das Mixen und gewaltsame Einflößen dieser buchstäblichen „Bloody Mary“ nicht den geringsten Sinn. Die entsprechende Szene ist schlichtweg ihrer selbst wegen im Film. Überhaupt herrschen völlige Beliebigkeit und Zufälle in dem mit knapp 80 Minuten (je nachdem, ob es sich um die geschnittene oder ungeschnittene Version handelt) zumindest recht kurz bemessenen Machwerk vor.
Kostprobe? Unvermittelt läuten zwei Polizisten des NYPD beim Killer auf. Wie diese auf seine Spur gelangten, wird nicht weiter ausgeführt. Vollends bizarr wird ihr Verhalten, wenn sie dem Verdächtigen mit der Naivität eines Kleinkindes begegnen und im Zuschauer die Frage auslösen, ob es sich bei den Beiden um die dümmsten Polizisten der Welt handeln könnte.
Aktenzeichen Captivity ungelöst
Apropos Fragen: Was den britischen Regisseur Roland Joffé dazu bewog, mit „Captivity“ ein ihm wenig vertrautes Genre zu bereichern, bleibt rätselhaft. Schließlich hätte man bei einem Filmemacher seines Kalibers zumindest ernsthaftes Bemühen erwartet. Doch was der 1984 mit „The Killing Fields“ berühmt gewordene Joffé rund ein Vierteljahrhundert später abliefert, spottet schlichtweg jeder Beschreibung. Der Plot des genial-verrückten Psychopathen ist natürlich nicht neu. Während die Irren in „Saw“ oder „Seven“ immerhin eine ganz bestimmte Agenda verfolgen, sind die Erklärungen in „Captivity“ nicht einfach an den Haaren herbeigezogen, sondern selbst im Kontext des Filmes völlig abstrus. Auf Plausibilität wird von Anfang an keine Rücksicht genommen. Da wird etwa ein berühmtes Model in einem riesigen, bestens besuchten Club entführt, ohne Aufsehen zu erregen. Geschähe die Entführung binnen weniger Augenblicke, gäbe es dagegen nichts einzuwenden. Doch der Psychopath findet auch noch genug Zeit, eine Videokamera mitten im Gang zu den Toiletten zu platzieren, ohne von Toilettenbesuchern gestört zu werden.
Ebenso unbefriedigend wie die lächerliche Auflösung des Rätsels hinter der Entführung – inklusive vorhersehbarem Plottwist – bleiben die bescheidenen Schauspielerleistungen sowie die Charakterisierungen. Einmal mehr wird Elisha Cuthbert ihrem Ruf als hübsche, jedoch wenig talentierte Darstellerin gerecht. Allerdings hätte auch keine gediegene Schauspielerin wesentlich mehr aus der Rolle machen können, die sich auf Kreischen, Augen weit aufreißen und dabei hübsch aussehen beschränkt.
Das gesamte Konzept des Filmes beschränkt sich auf oberflächliche Ekeleffekte und gediegene Visualisierungen des Verlieses. Richtiggehend nervig sind die wiederholten Sequenzen, in denen Jennifer betäubt wird und nach dem Blackout verwirrt erwacht. Gerade in diesem Punkt übertreibt Joffé dermaßen hemmungslos, dass man den Grund für das filmische Debakel erahnt: Offensichtlich wurde „Captivity“ in aller Eile fertiggestellt. Anders kann man sich die lieblose und schludrige Regie kaum erklären. Es scheint, als hätten sämtliche an dem Projekt Beteiligten diesen Film möglichst rasch hinter sich bringen wollen. Erkennbar ist dies an zahlreichen Ungereimtheiten und seltsamen Reaktionen der Protagonisten, die keinem zweiten Blick standhielten.
Genrefans sollten sich vom „Genuss“ dieses Machwerks trotzdem nicht abschrecken lassen. Nach 80 Minuten „Captivity“ lernt der geneigte Zuschauer jedenfalls selbst mediokre Massenprodukte wie „Saw II“ zu schätzen.
Darsteller
- Elisha Cuthbert … Jennifer Tree
- Daniel Gillies … Gary
- Pruitt Taylor Vince … Ben Dexter
- Michael Harney … Detective Bettiger
- Laz Alonso … Detective Santos
- Maggie Damon … Detective Susan Luden
- Chrysta Olsen … Mary D’Abro
- Carl Paoli … Opfer #1
- Trent Broin … Opfer #2
- Anelia Dyoulgerova … Kellnerin
- Olivia Negron … Spanische Frau
- Rebekah Ryan … Mutter
Regie
Roland Joffé
Produktionsland, Jahr
USA, 2007
Captivity Trailer