Die USA Ende der 60er-Jahre: Seymour Levov (Ewan McGregor) ist ein ehemaliger Spitzenathlet, der die Firma seines Vaters übernommen und sich den Traum von der perfekten, amerikanischen Idylle verwirklicht hat: zusammen mit seiner hübschen Frau Dawn (Jennifer Connelly) und den beiden Töchtern, lebt er in einem großen Haus in der Kleinstadt. Doch die Stimmung – nicht nur im Land sondern auch innerhalb der Familie – kippt merklich, als der Vietnamkrieg für die USA immer dramatischer und verlustreicher verläuft. Tochter Merry (Dakota Fanning) lehnt sich zunehmend gegen die Kriegshandlungen ihrer Heimat auf und wird schließlich Teil einer Gruppe politischer Aktivisten. Kurz darauf geschieht das Unfassbare: bei einem Bombenattentat auf das örtliche Postamt, verübt von radikalen Kriegsgegnern, stirbt ein Mann. Die Täterin: Merry, die daraufhin flüchtet und sich in den Untergrund absetzt. Seymour setzt alles daran, seine Tochter zu finden.
Eigentlich sollte Phillip Noyce („Die Stunde der Patrioten“) bei dieser Verfilmung eines Romans von Autor Philip Roth, die Regie übernehmen. Nachdem der erfahrene Filmemacher Anfang 2015 aber aus dem Projekt ausstieg, ließ sich Hauptdarsteller Ewan McGregor die Chance auf sein Regie-Debüt nicht nehmen. Schriftsteller Philip Roth lieferte bereits häufiger die literarischen Vorlagen für prominent besetzte Hollywood-Dramen, so z.B. „Der menschliche Makel“ mit Anthony Hopkins oder auch „Elegy oder die Kunst zu lieben“, mit Penélope Cruz und Ben Kingsley in den Hauptrollen. Der Roman „Amerikanisches Idyll“ erschien 1997, im Jahr darauf wurde Roth dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. McGregor und sein Team, drehten „Amerikanisches Idyll“ im Herbst 2015 in verschiedenen Städten in Pennsylvania. Weltpremiere war in diesem Jahr beim Toronto Filmfest.
Zwei inhaltliche Schwerpunkte verwebt Regie-Neuling McGregor in seiner Roman-Verfilmung auf dramaturgisch adäquate, filmisch kluge Weise: das Schicksal einer amerikanischen Vorstadtfamilie sowie das Porträt der politischen und gesellschaftlichen Unruhen im Amerika der 60er-Jahre. Der eine Schwerpunkt (die Familiengeschichte) ist hier stets sanft und sinnvoll in den Zweiten (das historische Porträt einer verlorenen Generation) eingebettet bzw. integriert. Dass „Amerikanisches Idyll“ so gut als emotionales Drama über eine Familie in einer existenziellen Krise funktioniert, liegt zu weiten Teilen an den tadellosen Darstellerleistungen. McGregor spielt glaubhaft den erfolgreichen, eigentlich geerdeten und mit beiden Beinen im Leben stehenden Vater. Bis ihm seine Tochter allmählich entgleitet – und sie sich von der harmlosen Aktivistin zu einer gefährlichen Hardlinerin entwickelt, die auch vor Anschlägen nicht zurückschreckt.
Der ehemalige Kinderstar Dakota Fanning verkörpert diese wird mit gewaltiger Entschlossenheit und beeindruckender Leinwandpräsenz. Durch ihre beachtliche Leistung in „Amerikanisches Idyll“, untermauert Fanning ihre eindrucksvolle Entwicklung von der niedlichen, frechen Göre aus früheren Filmen zur gereiften jungen Frau und ausdrucksstarken Darstellerin. Hinsichtlich der historischen Komponente ist der Film nicht zuletzt aufgrund seines realitätsgetreuen Produktionsdesigns und der aufwendigen Ausstattung, gelungen. Dazu unterfüttern die Macher das Werk immer wieder mit Originalaufnahmen prägender Ereignisse jener Jahre: von der Mondlandung über den Vietnamkrieg bis hin zu den Studentenaufmärschen und gewaltsamen Straßenprotesten der späten 60er. Wenn Seymour sich auf die Spuren der Tochter begibt und sich immer mehr in die Suche vertieft, erinnert die Produktion im Übrigen hier und da auch an spannende, detektivische Agentenkrimis.
Lediglich schade ist, dass der Film zu viele Nebenfiguren aufs Parkett führt, ohne mit ihnen zu Ende zu tanzen, heißt: einige Figuren erscheinen auf der Bildfläche, verschwinden dann aber auch recht schnell wieder, ohne dass deren Entwicklung weiter beachtet wird. Dies betrifft etwa Seymours Vater oder auch eine nach dem Verschwinden von Merry auftauchende junge Frau, die vorgibt, Merrys Freundin zu sein. Das ist aber die einzige nennenswerte Schwäche eines Films, der auch klar macht, dass sich seit den 60er-Jahren gar nicht sonderlich viel verändert hat. Denn damals wie heute grassieren Rassen- und Minderheitenhass, Terror, Kriegstreiberei sowie staatliche Willkür und junge Menschen lassen sich – um ihren Überzeugungen Nachdruck zu verleihen – radikalisieren.
Fazit: „Amerikanisches Idyll“ funktioniert als glaubwürdiges, historisierendes Generationen-Porträt ebenso wie als emotionales Familiendrama inklusive Agentenfilm-Anleihen. Begründet liegt dies vor allem im brillanten Cast und dem wahrhaftigen, realistischen Setting.
Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.