Winter’s Bone Filmkritik

Winters-Bone-HauptplakatEs sind doch immer wieder die kleinen Independent-Filmperlen, die den großen, glitzernden und starbesetzten Hollywood-Produktionen bei der Oscar-Verleihung zumindest kurz die Schau stehlen. Das war in den letzten beiden Jahren mit „The Wrestler“ (2009) und „Precious“ (2010) so, und auch in diesem Jahr sorgte ein kleines aber feines Drama für Aufsehen bei der 83. Oscar-Verleihung. Gleich für vier Oscars war Debra Garniks Film „Winter’s Bone“ nominiert, darunter für die Preise als bester Film und das beste adaptierte Drehbuch. Zwar ging der Film bei den Oscars leer aus, doch allein die vier Nominierungen ließen Kritiker und Publikum aufhorchen. Dabei hatte der Film bereits im vergangenen Jahr einige der wichtigsten Preise für Independent-Filme abgeräumt, darunter den großen Preis der Jury beim Sundance Film Festival. Garnik gelang dies mit einem beeindruckenden und intensiven Film (als Vorlage diente der gleichnamige Roman von Daniel Woodrell) ohne hohes Budget und bekannte Namen. Ein Film über das Elend der in den Wäldern der Südstaaten lebenden Landbevölkerung und die Standhaftigkeit einer jungen Frau, die für ihre Familie über Grenzen geht und das verwandtschaftliche Gestrüpp aus Lügen, Ausflüchten und Bedrohungen zu lichten versucht.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die 17-jährige Ree Dolly (Jennifer Lawrence), die sich alleine um ihre beiden jüngeren Geschwister und die depressive Mutter kümmern muss. Der Vater ist kriminell, auf Kaution frei – und spurlos verschwunden. Nachdem er einer Vorladung vor Gericht fern blieb, droht nun Unheil für Ree und ihre Familie. Ihr Vater setzte nämlich das Holzhaus der Familie und das angrenzende kleine Waldgebiet als Kaution ein. Nun soll das Haus verpfändet werden, es sei denn Ree findet ihren Vater innerhalb von sieben Tagen – tot oder lebendig. Die drohende Gefahr, das eigene Zuhause zu verlieren und mit ihrer Familie den Wäldern von Südmissouri ausgesetzt zu sein, vor Augen, begibt sich Ree auf die Suche nach ihrem Vater. Dabei sieht sie sich einer schier unüberwindlichen Mauer des Schweigens der örtlichen Gemeinde ausgesetzt, die – so scheint es – alles dafür tut, um Rees Suche zu erschweren um die Wahrheit vor ihr zu verbergen…

Auf der Suche nach ihrem Vater begibt sich Ree (Jennifer Lawrence) selbst in Gefahr. © 2010 Ascot Elite Filmverleih GmbH - Foto: Sebastian Mlynarski

In tristen und düsteren Bildern fängt „Winter’s Bone“ das Bild einer US-amerikanischen Bevölkerungsschicht ein, die – abgeschnitten von einer besseren Welt und am Rande der Gesellschaft – ein trostloses Dasein inmitten von heruntergekommenen Holzhütten, Dreck, Armut und hoffnungslosen Umständen fristet. Es ist ein illusionsloses Bild der dortigen Lebensumstände, das „Winter’s Bone“ erzeugt. In nahezu jeder Einstellung fängt der Film das Elend der Einwohner ein: Zerrüttete Ehen, Inzest, gewaltsame Ehemänner, Teenagermütter und Drogen sind allgegenwärtig in einer kalten und trostlosen Welt. „Winter’s Bone“ ist in erster Linie auch als Porträt einer Region in den USA anzusehen, in der die Menschen in ärmlichsten Verhältnissen leben, jeder Winter der letzte sein und man sich nur aufeinander verlassen kann – da man sonst nichts und niemanden hat. Es sind die Ozark Mountains, eine Hochlandregion in den zentralen USA, die die südliche Hälfte von Missouri einnimmt, in der auch Ree mit ihrer Familie lebt.

Die dargestellten Bewohner in Debra Garniks Film, zu einem großen Teil Rees Verwandtschaft, wirken erschreckend realistisch und ungeschönt. An dieser Stelle besticht „Winter’s Bone“ mit einer beeindruckenden Authentizität, wirken die Charaktere doch zu jeder Zeit unverfälscht und echt – seien sie noch so schmuddelig, widerwärtig und zurückgeblieben. Diese Stärke, die „Winter’s Bone“ gekonnt ausspielt, beruht zum einen darauf, dass die Nebenrollen ohne Ausnahme mit exzellenten Darstellern besetzt sind. Von Shelley Waggener als hilfsbereiter Nachbarin über Dale Dickey als brutale Haushälterin des örtlichen „Paten“ bis hin zu John Hawkes als Rees undurchsichtigem Onkel Teardrop, der mit seinem intensiven Spiel seiner Hauptdarstellerin in nichts nachsteht. Zum anderen fußt diese Authentizität auf der Tatsache, dass der Film an Originalschauplätzen der Romanhandlung (Ozark-Plateau) gedreht wurde und Autor Woodrell das Filmteam in ortstypische Gegenden und Landschaften führte sowie echte Bewohner als Laiendarsteller für den Film gewinnen konnte.

Ree (Jennifer Lawrence) hat Angst, dass das Haus der Familie verpfändet werden wird. © 2010 Ascot Elite Filmverleih GmbH - Foto: Sebastian Mlynarski

In eindringlichen Bildern dargestellt, übernehmen die Drehorte selbst eine Hauptrolle und werden zu einem eigenen Protagonisten im Film. Die kargen Wälder der Gegend sind von der übrigen Welt abgeschnitten und scheinen wie ein Spiegelbild der dort lebenden Bevölkerung: trostlos, kalt, ohne Emotion. Die Härte des Winters ist allgegenwärtig und wirkt sich auf das Verhalten der Figuren aus. Durch die Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Bewohner, hat sich eine eingeschworene Gemeinschaft herausgebildet, die nichts anfangen kann mit einer jungen Frauen, die anfängt, unangenehme Fragen zu stellen und die Menschen in der Gegend einschließlich deren Sitten und Verhalten hinterfragt.

Diese junge Frau, die – mit ihren 17 Jahren – die jüngeren Geschwister erzieht, die Familie ernährt und sich alleine auf die Such nach dem Vater macht, lässt einen ob ihres Mutes, ihrer Stärke und des eisernen Willens beeindruckt zurück. Ree durchbricht die Mauer des Schweigens, die sie anfangs umgibt und widersetzt sich jeglichen Einschüchterungsversuchen und Gewaltattacken der eigenen Verwandtschaft. Jennifer Lawrence ist letztlich auch die größte Stärke eines in allen Belangen starken Independent-Films. Nach ersten Rollen in kleineren Filmen meistert sie ihre erste Hauptrolle mit Bravour. Man nimmt ihr die hartnäckige, starke 17-jährige Ree, die trotz mehrmaliger Rückschläge niemals aufgibt und um alles in der Welt ihren Vater finden will, zu jeder Zeit ab. Dabei agiert Lawrence mit einer für ihr Alter (Lawrence ist gerade 20 Jahre alt) derart beeindruckenden Leinwandpräsenz, dass es einem die Sprache verschlägt.

Debra Garnik gelingt mit „Winter’s Bone“ ein authentisches, ehrliches Sozialdrama in schonungslosen Bildern. Die Leistung von Jennifer Lawrence bleibt im Gedächtnis.

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider


Darsteller:

  • Jennifer Lawrence
  • John Hawkes
  • Kevin Breznahan
  • Dale Dickey
  • Garret Dillahunt

Regisseur:
Debra Granik

Winter’s Bone Trailer:



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