Martyrs

MartyrsWie in jedem anderen Kulturbereich auch, sind es beim Film die Aufreger, die für die nötige Würze im mitunter faden Mainstream-Eintopf sorgen. Meist handelt es sich dabei um besonders provokante Streifen, wie Anfang 2009 der politisch unkorrekte Actionkracher „96 Hours“, oder Slasherfilme à la „Hostel“. Wohl nicht zufällig stammt der heftig umstrittene Horrorfilm „Martyrs“ aus Frankreich, das seit jeher einen tiefen Hang zu den dunklen und makabren Schattenseiten des Lebens hegt.
Ob Pascal Laugier, der neben der Regie auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, ein großer Wurf oder doch nur ein müdes Stürmchen im Wasserglas gelungen ist, soll nachfolgende jugend- und spoilerfreie Kritik erläutern.

Kellerkinder
Frankreich, Anfang der 1970er Jahre: Die junge Lucie (Mylène Jampanoï) entkommt nach monatelangem Martyrium ihren Peinigern. Vergeblich versuchen die Polizei und Psychologen dem Rätsel auf die Spur zu kommen, weshalb Lucie zwar gefoltert, aber nicht missbraucht wurde. Nach der Überweisung in ein Heim wird die gleichaltrige Anna (Morjana Alaoui) zu ihrer einzigen Freundin und Vertrauten.

Jahre später: Eine ganz normale Familie nimmt am Morgen das Frühstück ein, als es plötzlich an der Tür läutet. Das männliche Oberhaupt (Robert Toupin) öffnet die Tür, sieht sich der inzwischen erwachsenen Lucie gegenüber, die eine Waffe trägt, und wird ohne viel Federlesens erschossen. Mitleidlos tötet Lucie sämtliche Familienmitglieder. Denn sie glaubt, bei der Familie handle es sich um jene Folterknechte, die sie als Kind gefangen gehalten und bis aufs Blut gequält hätten. Dann ruft sie Anna an und erzählt ihr, was sie getan habe. Die geschockte Anna steht ihrer Freundin trotz allem bei, fährt zu dem abgelegenen Haus und beseitigt die Leichen.
Doch damit endet ihre Aufgabe nicht: Lucie fühlt sich von einer grässlich entstellten Kreatur (Isabelle Chasse) verfolgt, die ihr unsägliche Schmerzen zufügt. Rasch begreift Anna auch, dass der Schrecken noch längst nicht zu Ende ist – und ausgerechnet sie plötzlich in den Fokus des Grauens gerät …

Filmisches „Théâtre du Grand Guignol“
Wenn Eingangs von einer französischen Tradition für düstere Stoffe die Rede war, so ist dies keineswegs übertrieben. Legendär ist das bis 1962 aktive „Théâtre du Grand Guignol“, in welchem allerlei blutrünstigen, makabren Theaterstücke aufgeführt wurden. Offenbar hegte Pascal Laugier mit „Martyrs“ die Absicht, diesem Theater ein cineastisches Denkmal zu setzen. Nie zuvor wurde im Film bestialischer und kaltblütiger geschunden, gefoltert, geblutet und gestorben.

Natürlich liegt bei solchen Superlativen der Verdacht nahe, frei nach dem Motto „Hauptsache mehr von allem“ lege es jemand darauf an, die Scheußlichkeiten genreverwandter Slasherstreifen lediglich übertrumpfen zu wollen. Doch, und das ist die gute Nachricht, dies ist bei „Martyrs“ keineswegs der Fall. Auch wenn es auf den ersten Blick so scheinen mag: Die blutrünstigen, erbarmungslosen Folter- und Tötungsszenen frönen nicht dem Hang zum Provozieren oder Bedienen voyeuristischer Gelüste. Ganz im Gegenteil: Im Kontext des Filmes und des Plots dienen sie dem tieferen Verständnis für das Geschehen und die Motive der Folterknechte sowie ihrer Opfer.

Kein „One Night in Hostel“
Der vielfach gezogene Vergleich zu Eli Roths „Hostel“ oder der sich immer mehr der Selbstpersiflage nähernden „Saw“-Reihe, vermag „Martyrs“ den Zuschauer nicht einfach zu schockieren, sondern bietet ihm einen „Plottwist“, der es in sich hat, ohne völlig absurd oder unnötig zu wirken. Worin dieser besteht, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten. Nur so viel sei vorweggenommen: Es handelt sich um keine plakative (und lachhafte) „Pointe“ wie beim ersten Teil von „Saw“. „Martyrs“ bleibt sich auch in dieser Hinsicht treu und zieht seine clevere Plotidee kompromisslos durch.

Gerade darin liegt auch einer der größten Stärken des Films. Auf irgendwelche „Gefühle“ seitens der Zuschauer wird keinerlei Rücksicht genommen, genauso wenig, wie auf das Erfüllen von Klischees oder Publikumserwartungen. Wo viele Teenie-Slasherstreifen wegblicken, um die Altersfreigabe nicht zu gefährden, verfolgt „Martyrs“ knochentrocken seine Linie; wo „Hostel“ dermaßen weidlich mit Blut und Körperteilen um sich wirft, behält Pascal Laugier den Blick fürs Wesentlich, das eben all dies umfasst, was dem Verständnis des Filmes dient; wo „Scream!“ auf Ironie setzt, bleibt „Martyrs“ stumm, denn in diesem Streifen gibt es keine augenzwinkernde Ironie oder das leider in Mode gekommene „Lieber Zuschauer! Bitte nicht ernst nehmen! Ist doch nur Spaß!“.

„Martyrs“ ist ein ständiger Schlag in die Magengrube, der kein Vergnügen, aber eine seltsame Reinigung mit sich bringt, wie man sie in diesem Genre selten oder nie antrifft. Dermaßen eiskalt analysierte noch kein Film zuvor den „Sinn“ von Gewalt, ohne sich vom Dargestellten zu distanzieren.

Neben der perfekten Regie und dem cleveren Drehbuch sind es vor allem die Schauspieler, die ihren Teil zum Gelingen des Films beitragen. Vor allem den Hauptdarstellerinnen gebührt höchstes Lob für ihre überzeugende Schauspielkunst, die mitunter ziemlich hart an der Grenze des Erträglichen gewesen sein muss. Positiv wirkt sich hierbei natürlich das Fehlen (zumindest außerhalb Frankreiches) großer Namen aus, die beim Zuschauer irgendeine Art Voreingenommenheit auslösen hätten können. Somit gewinnt der Film an Reinheit, da keinerlei „Prominenz“ das Ergebnis verwässert – jedenfalls nicht, so lange das wohl unvermeidliche US-Remake auf dem Plan steht.

Gekonnte Provokation aus Frankreich
Apropos: Im Windschatten des geistigen Stillstandes der scheinbar übermächtigen (Alp-)Traumfabrik Hollywood, zieht Frankreich vorbei und legt zumindest 2009 einiges vor. Nachdem schon „96 Hours“ dem erschreckend lahmen Bond-Streifen „Ein Quantum Trost“ zeigte, wo der Hammer hängt und auf welchen Körperteil er gehämmert werden sollte, können sich auch „Saw“, „The Strangers“ & Co mehr als nur eine Scheibe Fleisch bei „Martyrs“ abschneiden.

Doch Achtung: Empfindsame Gemüter oder an harmlose US-Kost gewöhnte Mägen können bei diesem Film ernsthafte Verdauungsschwierigkeiten davontragen! Deshalb noch einmal die Warnung: „Martyrs“ ist ein gnadenloser Film, der das Herz weder am rechten, noch am linken Fleck trägt. Denn er ist ein herzloses Kunstwerk, das dem zahnlos gewordenen Papiertiger „Horror“ in den Allerwertesten beißt.

Für anspruchsvolle Horrorfans ist „Martyrs“ ein Pflichtfilm, der keinesfalls versäumt werden muss, sowie ein Lichtblick in der im wahrsten Sinne des Wortes düsteren Horrorlandschaft der vergangenen Jahre. Schade nur, dass es in hiesigen Breiten undenkbar erscheint, einen ähnlich harten und dennoch niveauvollen Horrorfilm auf die Beine zu stellen.


Darsteller

  • Morjana Alaoui … Anna
  • Mylène Jampanoï … Lucie
  • Juliette Gosselin … Marie
  • Catherine Bégin … Mademoiselle
  • Patricia Tulasne … Mutter
  • Robert Toupin … Vater
  • Isabelle Chasse … Die Kreatur

Regie
Pascal Laugier

Produktionsland, Jahr
Frankreich/Kanada 2008

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Ein Kommentar

  1. Zusammen mit anderen französischen Kollegen, wie „Inside“ und „Frontiers“ einfach nur überwältigend und schockierend.
    Mehr als nur empfehlenswert!
    MfG
    Flaky

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