J. Edgar Kritik

Bereits mit seinem Film „Invictus – Unbezwungen“, der von den ersten Präsidentschaftsjahren Nelson Mandelas handelt, bewies Kino-Legende Clint Eastwood sein Gespür für eindringliche und hochemotionale Film-Biografien. Geschickt bediente sich Eastwood nur einer kurzen, aber entscheidenden Episode aus Mandelas Leben, die er ins Zentrum seiner Story rückte und daraus eine intensive Charakterstudie machte. Dem Genre „Biopic“ bleibt der mittlerweile 81-jährige mit seinem neuen Film treu: In „J. Edgar“ versucht Eastwood nun, das Leben und Wirken des Mannes nachzuzeichnen, der fast fünf Jahrzehnte an der Spitze des FBI stand und wie kaum ein Zweiter die Politik und Gesellschaft in den USA beeinflusste. „J. Edgar“ ist der erste Versuch, sich auf filmische Weise dem Phänomen Hoover zu nähern, der als einer der mächtigsten Männer seiner Zeit galt.

Für die Hauptrolle konnte Eastwood Leonardo DiCaprio gewinnen, dem man aufgrund seines jungenhaften Aussehens die Rolle des kleinen, rundlichen und mit starrer Mimik und kaltem Gesichtsausdruck ausgestatteten Hoover zunächst nicht zutraute. Doch schon erste Trailer sowie Eindrücke von DiCaprios Darbietung wenige Wochen vor Kinostart sorgten dafür, dass die Kritiker schnell verstummten. Eastwood entschied sich bewusst für den 37-jährigen, der bereits in der Howard Hughes-Biografie „Aviator“ (2004) von Martin Scorsese sein Talent für die Darstellung bedeutender US-amerikanischer Persönlichkeiten der Zeitgeschichte bewies. Das optische „Problem“ bei der Verkörperung von Hoover wurde letztlich mit einem hautengen Fatsuit und einer Latexmaske gelöst, in die man DiCaprio steckte.

ZUR STORY: 48 Jahre lang (von 1924 bis zu seinem Tod 1972) leitete J. Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio) das Federal Bureau of Investigation (FBI). Hoover erschuf aus einer dilettantisch organisierten und stümperhaften Truppe das heutige FBI, die Bundespolizei der USA. Außerdem galt er als Pionier auf dem Gebiet angewandter Kriminaltechnik und forcierte die Entwicklung moderner Ermittlungsmethoden wie z.B. die Erfassung von Fingerabdrücken und die Schusswaffenuntersuchung (Ballistik). Sein Ziel war es, die USA von allem Bösen zu befreien. Um dieses Ziel zu erreichen und potentielle Terroristen zu entlarven, schreckte er vor nichts zurück. Seine Geheimakten, die er auch über die Präsidenten angelegt und geführt haben soll, sind nur ein Beispiel dafür. Hoover überlebte acht US-Präsidenten und drei Kriege. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte um seine wahren sexuellen Neigungen. So soll seine Beziehung zu seinem Stellvertreter, Clyde Tolson (Armie Hammer), nicht nur von beruflicher Natur gewesen sein. Diese Behauptungen konnten jedoch bis heute nicht einwandfrei bestätigt werden…

Ausführlich und detailliert hangelt sich Eastwood an den wichtigsten Stationen im Leben des undurchsichtigen J. Edgar Hoover entlang: vom Aufbau des FBI in den 20er- und 30er-Jahren über die internationale Expansion der Behörde nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Kampf gegen Kommunisten und Anarchisten in den 50- und 60er-Jahren. „J. Edgar“ spart nichts aus und folgt in Sachen Abhandlung und Darstellung der Ereignisse üblichen Biopic-Standards. Die Kulissen sind dabei stets ebenso authentisch und realitätsgetreu geraten wie die Schauplätze der Handlung. Der Zuschauer fühlt sich zurückversetzt in die Frühzeit der Kriminalistik und Verbrechensbekämpfung, als forensische Beweise und geheime Akten noch nicht Teil der alltäglichen Polizeiarbeit waren. Hier gelingt Eastwood ein stimmiges und gelungenes Porträt längst vergangener Zeiten. Seine ausführliche Darstellung der Ereignisse, die sich immerhin über einen Zeitraum von über 50 Jahren erstrecken, geht jedoch leider auch auf Kosten der Spannung, die hier zu keinem Zeitpunkt so Recht aufkommen mag. Somit wirken die knapp 135 Minuten Laufzeit mitunter ein wenig zäh und ermüdend, da die Spannungskurve nie ausschlägt und Eastwood eine monotone Erzählung ohne sich verändernde Dramaturgie abspult. Eastwood verweigert sich dabei zu großen Teilen klaren Statements, er lässt die Geschehnisse für sich sprechen und fordert den Zuschauer auf, sich ein eigenes Bild von der Person J. Edgar Hoover zu machen.

Darstellerisch überzeugt der Film jedoch ausnahmslos. Leonardo DiCaprio liefert hier wohl eine seiner beeindruckendsten Leistungen der vergangenen Jahre. Mit seinem eindringlichen Gestik- und Mimikspiel schafft es DiCaprio, in Hoover eine stets bemitleidenswerte und bedauerliche Person zu sehen, die vor allem an den selbst gestellten, viel zu hohen Ansprüchen und einer dominanten Mutter (brillant: Judi Dench) scheitert. Mit Naomi Watts und Armie Hammer stehen DiCaprio zudem zwei starke Nebendarsteller zur Seite, die hier die zwei wichtigsten Menschen im Leben Hoovers verkörpern: seine persönliche Sekretärin und seinen Stellvertreter, mit dem ihn wohl mehr als nur eine geschäftliche Beziehung verband. Am meisten – so vermittelt es der Film auf drastische Weise – habe Hoover aber wohl unter seiner ständig unterdrückten Sexualität zu leiden gehabt. Hoover selbst duldete keine Homosexualität in seiner Behörde – er selbst konnte sich seine eigenen Neigungen jedoch zeitlebens selbst nie eingestehen. Am Ende zerbricht Hoover schließlich an der Leere und Verlogenheit seines Lebens. Es ist Eastwood hoch anzurechnen, dass er diesen, sehr intimen und privaten Teil in Hoovers Leben eine tragende Rolle im Film zukommen lässt. Die Tatsache, dass hier die sexuelle Orientierung Hoovers so deutlich thematisiert wird, führte in den USA bereits zu hitzigen öffentlichen Diskussionen um Eastwoods Werk.

FAZIT: Authentisch und intensiv schildert Clint Eastwood in „J. Edgar“ das Lebens eines der mächtigsten Männer der USA. Trotz einiger Längen und fehlender Spannung bleibt der Film dank Leonardo DiCaprio dennoch sehenswert.

Diese Filmkritik schrieb unser Redakteur Björn Schneider.


Darsteller:

  • Leonardo DiCaprio
  • Josh Lucas
  • Naomi Watts
  • Armie Hammer
  • Miles Fisher
  • Lea Thompson
  • Ed Westwick
  • Dermot Mulroney
  • Jeffrey Donovan
  • Stephen Root
  • Judi Dench
  • Kaitlyn Dever

Regie:
Clint Eastwood

Erscheinungsjahr:
2011

J. Edgar Trailer

Das könnte dir auch gefallen:

2 Kommentare

  1. Der Film hat mir ganz gut gefallen, vor allem Di Caprio spielt regelrecht um sein Leben:). Die Kritik triffts ziemlich auf den Punkt auch was die nicht vorhandene Spannung betrift

  2. Di Caprio ist einfach ein großartiger Schauspieler. Ich fand die Handlung zwar ein bisschen langamtmig und langweilig, aber alleine DiCaprio war umwerfend. Der vielleicht Beste seiner Generation!

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.